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Leserbrief zum Beitrag Wer sägt am
Ast, auf dem er sitzt? Der Streit zwischen Übersetzern und Verlagen
um angemessene Vergütung schwelt weiter - von Friederike Schläfer;
Stuttgarter Zeitung, 4. November 2006
Sehr geehrte Frau Schläfer,
Ihren Artikel über den weiterhin schwelenden Konflikt zwischen
literarischen Übersetzern und Verlagen habe ich mit Befremden gelesen.
Allein die Überschrift assoziiert bereits, dass die Übersetzer,
denen sie so viele Verdienste und Tugenden konzedieren, gar keine andere
Wahl haben, als sich mit dem status quo zu arrangieren. Einem status
quo, den sie - gelinde gesagt - verklärt beschreiben.
Sie machen eine Rechnung auf, in der der Monat 25 Tage hat. Fast jeder
normale Arbeitnehmer in diesem Lande hat jedoch zwei freie Tage in der
Woche und mindestens 14 Tage Urlaub im Jahr, hinzu kommen Feiertage
wie Ostern, Weihnachten, Pfingsten, 1. Mai, 3. Oktober sowie, in einigen
Bundesländern, Fronleichnam, Allerheiligen oder der Reformationstag.
Die Zahl der Jahresarbeitstage beläuft sich also, wie Sie in allen
einschlägigen Statistiken hätten nachlesen können, im
Schnitt auf 250, die der Arbeitstage pro Monat auf durchschnittlich
20,8 Tage. Dann beschließen Sie, dass ein Literaturübersetzer
bei einem mittelschweren Text, für den er ein Normseitenhonorar
von 17,50 € erhält, pro Tag acht Seiten schaffe. Wäre
dem so, entspräche das einem monatlichen Umsatz (nicht Gewinn!!!)
nicht von 3.500 €, sondern von 2.912 €. Für viele Übersetzer
macht solche Differenz die Höhe ihrer monatlichen Miete aus!
Dem ist aber nicht so, denn Sie unterschlagen vornehm, dass literarische
Übersetzer als selbständige Betriebskosten haben, z.B. für
ihr häusliches Arbeitszimmer, denn einen anderen Arbeitsplatz haben
sie nicht, für Bildungsreisen, für die Anschaffung von Büroequipment
und -material, für Recherchen, für die Beschaffung neuer Nachschlagewerke,
um nur einige zu nennen, die in manchen Jahren einen erheblichen Teil
ihrer Einnahmen verschlingen können. Außerdem gehen natürlich
von den Einkünften die Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung
ab, und es müßten eigentlich (wozu viele Übersetzer
nicht in der Lage sind) Rücklagen für Urlaub (denn als Freiberufler
haben Literaturübersetzer kein Urlaubsgeld und auch kein 13. Monatsgehalt,
ja noch nicht einmal Krankengeld, jedenfalls nicht bei Krankheiten,
die nach sechs Wochen ausgeheilt sind) und Krankheit gebildet werden.
All das übergehen Sie galant und greifen statt dessen einen Phantasiebetrag
von 3.500 € Monatseinkommen aus der Luft.
Ebenso verkennen Sie, dass nicht alle Texte den gleichen Schwierigkeitsgrad
haben. Meine sehr verehrte Kollegin Swetlana Geier übersetzt am
Tag gewiss keine sechs druckreifen Seiten. Auch meine nicht minder geschätzte
Kollegin Ragni Maria Gschwend wird bei den schwierigen Büchern,
die sie übersetzt, nicht auf einen solchen Tagesausstoß kommen,
ebenso wenig wie ich, bei meiner kürzlich erschienenen Neuübersetzung
von Gullivers Reisen, meiner Übersetzung von John Banvilles derzeit
in nahezu allen Feuilletons überaus positiv besprochenen Roman
Die See, oder dem überaus komplizierten Roman House of Leaves des
amerikanischen Autors Mark Z. Danielewski, an dem ich seit über
einem Jahr arbeite und der im Herbst 2007 im Verlag Klett-Cotta erscheinen
soll.
Bei Werken dieser Schwierigkeitsgrade liegt das Normseitenhonorar bei
19,50 bis 21 €, die Tagesproduktivität in druckreifen Seiten
gerechnet bei maximal 2 Seiten. Das entspräche bei 20,8 Arbeitstagen
einem Monatseinkommen von 832 €. Weil davon niemand leben und sein
kleines Unternehmen am Laufen halten kann, und weil überdies die
Termine, die uns von den Verlagen vorgegeben werden, fast immer sehr
eng sind, arbeiten die meisten Übersetzer eben auch nicht monatlich
20,8 Arbeitstage à maximal 8 Stunden, sondern sitzen mindestens
sechs, oft auch sieben Tage die Woche mindestens zehn, nicht selten
auch zwölf bis vierzehn Stunden am Computer. Mit fatalen Folgen
für ihre Wirbelsäule, wie man sich denken kann. Und dass eine
so starke Arbeitsbelastung nicht unbedingt familienfreundlich ist, liegt
ebenfalls auf der Hand. Viele Übersetzer leben daher als Singles,
nicht wenige sind alleinerziehende Mütter oder Väter, und
nach wie vor überwiegt deutlich der Anteil weiblicher literarischer
Übersetzer.
Da wir gerade beim Rechnen sind: Ich habe vor ein paar Tagen meine
Steuererklärung für 2005 abgegeben, aus der ersichtlich ist,
dass ich letztes Jahr - trotz absoluter Auslastung durch Übersetzungsaufträge,
Lehr- und Vortragstätigkeit und zahlreiche Lesungen - nur ca. 27.000
brutto eingenommen habe. Diese Zahl meint die Einnahmen aus meiner freiberuflichen
Tätigkeit als literarische Übersetzerin, nicht etwa den Gewinn,
den ich mit meiner Arbeit erzielt habe! Zur Zeit bin ich wegen schwerer
Bandscheiben- und Nervenschädigungen krank geschrieben - seit sieben
Wochen. Vor einer Woche hat mir meine Krankenkasse die Höhe des
Krankengeldes mitgeteilt, das ich nunmehr, nach sechswöchiger Karenz,
beziehen werde: 23 Euro pro Tag!
Vor ein paar Monaten habe ich auch meinen Rentenbescheid bekommen.
Falls ich noch bis 65 (plus 4 Monate, da ich Jahrgang 1948 bin) durchhalten
sollte, was angesichts meiner gesundheitlichen Situation wenig wahrscheinlich
ist, würde ich eine monatliche Rente von 580 Euro erhalten, nach
dann immerhin 45 Arbeitsjahren, die Ausbildungszeiten werden ja nicht
angerechnet, davon 35 Jahre als freiberufliche literarische Übersetzerin.
Immerhin wird mit meinem 64. Geburtstag, also in nur noch sechs Jahren,
meine kleine Lebensversicherung fällig, die einzige Rücklage,
die ich bilden konnte. Und wenn ich das noch erlebe und vielleicht sogar
noch ein wenig weiter arbeiten kann, werde ich es mir dann vielleicht
sogar leisten können, in eine Wohnung mit Fahrstuhl umzuziehen,
wobei ich mich jetzt schon seelisch und moralisch darauf vorbereite,
dass diese Wohnung dann zwar wesentlich weniger Quadratmeter haben dürfte
als meine jetzige recht geräumige Zweizimmerwohnung, dafür
aber mit Sicherheit erheblich teurer sein wird. Und ich betone noch
mal, dass ich, seit ich 1978 angefangen habe zu übersetzen und
1981 freiberuflich geworden bin, keinen einzigen Tag ohne Auftrag war.
Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich liebe meinen Beruf über
alles und wünsche mir nichts mehr, als dass ich noch lange in der
Lage sein werde, ihn auszuüben. Aber mir klingen immer noch einige
Sätze aus der Rede im Ohr, die der ehemalige Bundespräsident
Roman Herzog hielt, als mir 1997 für meine Neuübersetzung
der Sonette von William Shakespeare der des Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreises
verliehen wurde. "Daß man mit einem der wichtigsten Berufe,
die unser Geistesleben kennt, seinen Lebensunterhalt in der Regel nicht
bestreiten kann, ist im Grunde skandalös", sagte Roman Herzog,
und fuhr fort: "Die prekäre finanzielle Situation, in der
die allermeisten von Ihnen leben, kann einen nur traurig stimmen. Wahrscheinlich
gibt es im gesamten kulturellen Leben kaum einen Beruf, der sich so
unterbezahlt vorkommen muß. Sie wissen und akzeptieren wohl auch,
daß ich Ihnen dabei nicht direkt helfen kann. Es ist aber meine
Absicht, (...) die große und wichtige kulturelle Leistung der
Übersetzer ins Licht der Öffentlichkeit zu setzen - und den
unzureichenden Lohn, den Sie dafür bekommen. Hier stehen das Verdienst
und der "Verdienst", den Sie dafür erhalten, in keinem
gerechten Verhältnis zueinander.
Sehr ähnlich nimmt sich aus, was in der Einleitung zu dem am 1.
Juli 2002 vom Deutschen Bundestag verabschiedeten novellierten Urhebervertragsrecht
steht, wo zu lesen ist, daß die Vergütung der Übersetzer
weder redlich noch angemessen sei.
Leider haben bis jetzt weder die Worte des Altbundespräsidenten
Roman Herzog noch der Gesetzestext etwas dazu beitragen können,
die Lage der literarischen Übersetzerinnen und Übersetzer
zu verbessern. Noch immer werden wir nicht angemessen an den Gewinnen
beteiligt, die Verlage mit unserer Arbeit erzielen, noch immer werden
wir mit Normseitenhonoraren abgespeist, die in keinem Verhältnis
zu dem Aufwand stehen, der erforderlich ist, um einen auch nur mittelschweren
Unterhaltungsroman so ins Deutsche zu übersetzen, dass sich die
Leserinnen und Leser zufrieden zurücklehnen und sowohl die Handlung
als auch die durch die Kunst des Übersetzers vermittelte Sprachkunst
der Autorin oder des Autors genießen zu können, wie es sich
gehört.
Mit freundlichen Grüßen,
Christa Schuenke
[L iterarische Übersetzerin, u. a. von Autoren wie William Shakespeare,
John Donne, Jonathan Swift, John Keats, Percy Bysshe Shelley, Herman
Melville, , Henry James, William Butler Yeats, Isaac Bashevis Singer,
Robert McLiam Wilson, Chang-rae Lee, Carolyn Haines, Helen Dunmore,
Kate Fenton, Mavis Cheek, Christopher Nolan und John Banville]
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Sonette in neuen Kleidern
William Shakespeare: Die Sonette - The Sonnets, Deutsch von Klaus Reichert
(Salzburg; Jung und Jung, 2005) Pp. 335, Geb. € 24,90 Reimlos, in "jambischem Schreitmaß rhythmisiert", hat
Klaus Reichert Shakespeares Sonette neu übersetzt. Ein Verfahren,
das vor ihm nur in einer der bislang 61 Gesamt-übersetzungen des
Zyklus angewandt wurde, nämlich in Beatrice Barnstorff Frames reimlos-rhythmisierter
Prosaübersetzung von 1931. Daneben stehen Sebastian R. Schneiders
Blankversübertragung von 1834 sowie Johann Joachim von Eschenburgs
1787er Prosaübersetzung von 56 Sonetten.
Der Entscheidung für eine Prosaübersetzung, entnehmen wir
Reicherts Vorwort, liege die Überzeugung zugrunde, der inhaltliche
Reichtum von Shakespeares Dichtung sei in seiner ganzen Fülle und
Vielgestaltigkeit nur dann vermittelbar, wenn sich die Überset-zung
aus dem Zwang von Reim und Metrum befreie. Konsequenterweise hält
sich Rei-chert außer beim 66. Sonett auch weder an die notorischen
14 Zeilen noch an die Stro-phenstruktur von drei Quartetten und abschließendem
Couplet. Seine Versionen haben meist elf bis 12, selten 14 Zeilen, Dreizeiler
wechseln mit Vierzeilern, doch endet jedes, außer beim 66., mit
abgesetztem Couplet.
Reichert führt mehrere Argumente für diese Befreiung aus der
Form an, die alle eines gemeinsam haben: Sie sind vom System der Ausgangssprache
her gedacht, also hin zu den scheinbaren Defiziten der Zielsprache dieser
gegenüber. Eine Denkweise, die im Diskurs über das Übersetzen
recht verbreitet ist.
"Wenn wir nicht wüßten', daß die meisten
Sonette an einen Mann gerichtet sind, könnten sie genauso einer
Frau gelten. Es ist das Schwebende des Geschlechtli-chen", meint
Reichert mit Blick auf die Uneindeutigkeit englischer Formeln wie my
love oder my friend, "das den Gedichten ihre Rätselhaftigkeit
und ihre Faszination gibt." Nur wissen' wir eben - nicht
allein aus der Exegese, sondern weil die Texte selbst es offenbaren
- , wes Geschlechts die Adressaten der Sonette sind. Zudem exis-tiert
im Englischen gar keine Alternative; Begriffe wie love und friend können
nicht, sie müssen grundsätzlich beide Geschlechter meinen.
Übersetzt Reichert in Sonett 40 also Take all my loves, my love;
yea, take them all mit Nimm, meine Liebe, alle meine Lieben, ja nimm
sie alle, so hat das, abgesehen vom verlorengegangenen Gestus des Originals,
nichts Schwebendes, sondern er legt sich, der Eindeutigkeit des Deutschen
unterworfen, wider besseres Wissen in einer (und zwar der falschen)
Richtung fest. Das ist nicht mal in einer Versübersetzung nötig,
und in der Prosaversion würde das "schwebendere" mein
Lieb oder mein Liebes ebenso funktionieren.
"Es gibt bei Shakespeare keine Füllwörter", betont
Reichert. Wie denn auch in einer so partikelarmen Sprache wie dem Englischen?
Zudem erschwere die Einsilber-Armut des Deutschen adäquate Vers-Übersetzungen.
Die wichtigen Schlüsselbegriffe des Zyklus (worth, truth, sweet,
fair, use) bestünden fast durchweg aus nur einer Silbe. Nun liegt
sweet mit 58 Erwähnungen im Mittelfeld, kurz vor fair (46), truth
und worth (24 bzw. 20) sind fast gleichauf und use erscheint nur 13
Mal. Aber warum übergeht Reichert das eine Schlüsselwort,
das mit 205 Erwähnungen nach I (352) Platz zwei einnimmt, gefolgt
von (me/164, thee/161, you/111 nicht mitgerechnet) eye(s) (93), self
(89), time (70), heart und will (je 64) - nämlich love? Für
Übersetzer hoher Literatur, bei der auf Parallelbegriffe zu achten
ist, gehören solche Frequenzlisten wesentlich zur Textanalyse.
Die Sprachen unterscheiden sich in ihrer Systematik. Geblendet von der
schö-nen Effizienz des Englischen, übersieht man leicht die
Vorzüge des Deutschen. Was dem Englischen die Einsilber, sind dem
Deutschen die Komposita, die flexible Syntax, die melodiöse Perioden
ebenso zuläßt, wie kurze, harte Verse. Wenn Reichert betont,
in der Prosaform müsse, anders als in einer formtreuen Übertragung,
"jedes Wort übersetzt werden", erst so erschließe
sich die Tiefe dieser Dichtung ganz, fragt sich, wie viele Wörter,
die nicht bei Shakespeare stehen, hier mit "übersetzt"
werden. Geht da nicht manches nolens volens eher in die Breite? Wo ist
die Grenze zwischen Klarheit und Geschwätzigkeit?
An Einsilbern ist das Englische dem Deutschen tatsächlich überlegen.
Welcher Übersetzer möchte nicht mit S. de Madariaga ausrufen:
"They are marvellous, those English monosyllables.
Is not
the word sweet a kiss in itself
?" Drei der fünf von
Reichert genannten Wörter haben einsilbige deutsche Entsprechungen.
Summer's lease muß nicht zwingend mit die dem Sommer eingeräumte
Zeit übersetzt werden, auch Sommers Frist oder Pacht wären
denkbar. So provozieren bei Reichert immer wieder gewisse Wendungen
die Frage, ob die gewählte Prosaform nicht, anstatt die Texte tie-fer
auszuloten, eher übertriebener Eloquenz Raum gibt, mithin also
das Gegenteil des-sen wäre, was Dichtung ist und sein will, nämlich
diejenige Kunst, in deren Mittelpunkt das Wort steht, nicht die Syntax
und erst recht nicht die Erklärung, denn ein Gedicht, das man in
Prosa "nacherzählen" kann, hätte nicht geschrieben
werden müssen.
Prekär erscheint der Reimverzicht, verbindet doch der Reim - und
sei es durch Konfrontation - nicht nur disparate Bilder und Gedanken,
sondern ist für das Sonett geradezu gattungsstiftend. Ungereimte
Sonette sind eigentlich keine. Reichert meint und wertet es als Einschränkung,
wer die Sonette mit Reim und Metrum übersetze, müsse seine
Versionen von den Reimen aus konzipieren oder um sie herum konstruie-ren.
Bei einigen Sonetten trifft das zu, andere erschließen sich jedoch
nach und nach von einem Grundvers her, häufig vom Couplet, so daß
sich im Deutschen fast von selbst unangestrengte, geradezu beiläufige
Reime einfinden.
Was versteht Reichert, dem metrischen Korsett entstiegen, aber unter
"jambi-schem Schreitmaß"? Warum insistiert er, trotz
bewußter Emanzipation vom vorgefun-denen Metrum, sein Schreitmaß
sei ein jambisches? Kann denn ein Schreitmaß anders sein als jambisch?
Dem Vorwort sind genauere Erläuterungen dazu nicht zu entnehmen,
also halten wir uns an die Texte. Beispielsweise an das 65. Sonett:
Da Erz nicht, Stein, nicht Erde, grenzenloses Meer, nein, Sterb-
lichkeit selbst ihre Macht besiegt, wie kann dann gegen diese Wut
die Schönheit prozessieren, als Klägerin nicht stärker
als ein
Blümchen.
Schon am Beginn von Zeile 2 strauchelt der jambisch eingestimmte Leser,
der freilich vorgewarnt wurde, daß dieses Schreitmaß "immer
dann unterlaufen wird - aussetzt - , wenn ein Wort besonders markiert
werden soll." Welches wäre hier das besonders markierte Wort?
Man könne, so Reichert im Vorwort, bei Shakespeare "nicht
sagen, der Gedanke sei zu Ende, der Vers aber noch nicht". Tatsächlich
sind Enjambements in Shakespeares Sonetten - im elisabethanischen Sonett
generell - eher rar. Während der erste englische Sonneteer, Thomas
Wyatt (1503-1542), noch dem petrarkischen Schema treu blieb, paßte
bereits Henry Howard Earl of Surrey (1517-1547), der "Erfinder"
der schließlich auch von Shakespeare benutzten Sonettform, das
aus Italien importierte Schema strukturell und inhaltlich den Eigentümlichkeiten
des Englischen an. Surreys Sonette vermitteln nachgerade den Eindruck,
als wären Enjambements ein Regelverstoß.
Man dürfe von seinen "Umdichtungen", deren Deutsch "so
kompliziert wie das Englische, manchmal, notgedrungen, noch komplizierter"
sei, sagt Reichert, "also nicht erwarten, diese deutschen Sonette
herunterlesen und einigermaßen leicht verstehen zu können
wie die meisten bestehenden Übersetzungen." Vielmehr wolle
bei seiner Me-thode "jedes Wort ... auf seine Funktion in der Entfaltung
des poetischen Gedankens hin berücksichtigt werden". Er habe,
Shakespeare folgend, nachgehorcht, welche Fort-führungen die deutschen
Wörter erlaubten, habe also "nicht nur' übersetzt,
sondern am deutschen Material gearbeitet." Es fällt schwer
zu erkennen, was daran ungewöhnlich sein soll, denn was Reichert
da beschreibt, ist nur das alltägliche Handwerk des literari-schen
Übersetzens.
Schwerer noch fällt es, Reicherts These zu folgen, als Übersetzer
könne man Shakespeares Sonetten erst dann wirklich gerecht werden,
wenn man von der Shakes-peareschen Form absehe. Ist doch die Form bei
jedem Kunstwerk stets die Form des Inhalts, und gießt man diesen,
den poetischen Gedanken, in eine andere Form, so bleibt er nicht der,
der er war, sondern verändert sich zwangsläufig mit der neuen
Form. Dann kann es leicht geschehen, daß jemand ruft: "Der
Kaiser ist ja nackt."
Christa Schuenke, Berlin
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Lauschen, denken, dienen
Von Christa Schuenke
Als ich vor 32 Jahren anfing zu übersetzen, warnte mich ein befreundeter Autor: Ein Schriftsteller entwickelt seinen persönlichen Stil und muss dann nur noch Geschichten erfinden. Der Stoff suche sich seine Form ganz von alleine. Für den Übersetzer entfällt zwar das Erfinden einer Handlung, aber dafür muss er sich wie ein Chamäleon immer dem Stil des jeweiligen Originals anpassen können, muss, je nach Bedarf, schreiben können wie Thomas Mann, Dostojewski, Faulkner oder Kenzaburo Oe.
Schreiben muss der Übersetzer können, genau wie der Schriftsteller, nur hat er es bloss mittelbar mit den bedeutungsstiftenden Elementen des Ausgangstexts zu tun, bloss insoweit, als er das Original zunächst einmal verstehen muss, damit er es den Lesern verständlich machen kann. Seine eigentliche Domäne aber ist die vom Autor gewählte Art und Weise der Darstellung. Insofern zählt das Übersetzen zu den darstellenden Künsten, obschon, im Unterschied zum Schauspieler, das Material beim Übersetzer allein die Sprache ist und nicht der ganze Körper.
Wo gehen Übersetzer in die Lehre? Sie lesen Bücher, und zwar vor allem Bücher in der eigenen Muttersprache, die in der Regel auch die Sprache ist, in die sie übersetzen. Das Spektrum reicht bei mir von A wie Améry bis Z wie Zuckmayer, wobei, rein handwerklich betrachtet, ich persönlich, speziell für meine Neuübersetzungen klassischer Autoren, Adalbert Stifter wohl am meisten zu verdanken habe.
Dass literarisches Übersetzen an der Universität gelehrt wird, ist ein recht junges Phänomen, dessen Nutzen sich wohl erst noch erweisen muss. Denn eigentlich ist Übersetzen kein Beruf, sondern eine Lebensweise. Man tut es 24 Stunden am Tag. Man zermartert sich auch abseits des eigenen Schreibtischs, bei den banalsten Verrichtungen, das Hirn nach dem treffenden Wort, dem rechten Ton, schiebt im Kopf Satzteile hin und her und muss bisweilen, wenn man die ideale Lösung für eine vertrackte Stelle geträumt zu haben glaubt, ernüchtert feststellen, dass der geträumte scheinbare Geniestreich schon längst so im Computer steht. Man ist immer «im Dienst», auch wenn man mit dem Bus fährt, über den Markt bummelt, wo Kunden in den verschiedensten deutschen Mundarten mit türkischen, ecuadorianischen oder iranischen Händlern palavern und ein Urberliner Original die Leute mit flotten Sprüchen unterhält. Bei jeder nicht ganz normgerechten Verbstellung, jeder unbewusst jambischen Tirade blinken im Übersetzerhirn die Lämpchen, alles wird abgespeichert und kann bei Bedarf wieder abgerufen werden.
Was Luther «dem Volk aufs Maul schauen» nannte, ist ein ganz wesentlicher Teil des Übersetzerhandwerks. Und so entbehrt es nicht einer gewissen Logik, dass zumal in Europa, wo besonders viel übersetzt wird, die meisten Literaturübersetzer zwar über einen akademischen Grad verfügen, nicht aber über einen Universitätsabschluss im Übersetzen. Talent und ein empfindliches Gehör sind Grundvoraussetzungen für den Beruf. Gleichwohl können wichtige Aspekte des literarischen Übersetzens auch in einem Studiengang vermittelt werden, wie dies seit 21 Jahren an der Universität Düsseldorf und seit kürzerem auch an anderen Universitäten geschieht, wobei speziell in Lausanne neue, vielversprechende Wege beschritten werden.
Am Ende aber hat wohl der französische Schriftsteller und Übersetzer Georges Arthur Goldschmidt recht, wenn er sagt, dass Übersetzen und Schreiben einander sehr verwandte Tätigkeiten sind. Nur habe es der Schriftsteller mit der Angst vor dem leeren Blatt zu tun, der Übersetzer hingegen mit der Angst vor dem vollen Blatt. Und doch: Übersetzen ist a priori eine nachschaffende Tätigkeit, das Wort indes gehört dem Dichter, und ihm zu dienen, ist das Amt des Übersetzers.
Die Übersetzerin Christa Schuenke gehört zu den renommiertesten Vertreterinnen ihres Fachs. Ihr Spektrum reicht von John Donne, John Keats und William Shakespeare über Herman Melville und Edgar Allan Poe bis zu amerikanischen Avantgarde-Autoren wie David Foster Wallace und Mark Z. Danielewski. Für ihre Arbeit wurde sie mit zahlreichen Stipendien und Preisen ausgezeichnet. |
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