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Leseprobe aus
Aus: William Shakespeare, Die Sonette. Zweisprachige Ausgabe, dtv 1999, 4. Aufl. 2005
© Christa Schuenke


 

LXVI

 
     
  All dessen müd, nach Rast im Tod ich schrei.
Ich seh es doch: Verdienst muß betteln gehn
Und reinste Treu am Pranger steht dabei
Und kleine Nullen sich im Aufwind drehn
Und Talmi-Ehre hebt man auf den Thron
Und Tugend wird zur Hure frech gemacht
Und wahre Redlichkeit bedeckt mit Hohn
Und Kraft durch lahme Herrschaft umgebracht
Und Kunst das Maul gestopft vom Apparat
Und Dummheit im Talar Erfahrung checkt
Und schlichte Wahrheit nennt man Einfalt glatt
Und Gutes Schlechtestem die Stiefel leckt.
All dessen müd, möcht ich gestorben sein,

Blieb nicht mein Liebster, wenn ich sterb, allein.
 

 
 

CXVI

 
     
 

Nie darf ein Hemmnis reiner Seelen Bund
Im Wege stehn. Die Lieb ist Liebe nicht,
Die schwankend wird, schwankt unter ihr der Grund,
Und schon an einem Treuebruch zerbricht.
Sie ist die Boje, die kein Sturm versenkt,
Die unerschüttert steht im Zeitenstrom,
Ist Leitstern, der verirrte Schiffe lenkt;
Was Liebe kann, ermißt kein Astronom.
Liebe ist nicht der Narr der Zeit, die zwar
Selbst Rosen fällt mit ihrem Sichelschlag:
Im flinken Lauf der Zeit unwandelbar
Besteht die Liebe bis zum Jüngsten Tag.
Wenn, was hier steht, sich je als falsch ergibt,

Dann schrieb ich nie, hat nie ein Mensch geliebt.

 

William Shakespeare

© Christa Schuenke

Aus: William Shakespeare, Die Sonette. Zweisprachige Ausgabe, dtv 1999, 4. Aufl. 2005

 


 

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