Leseprobe aus
Robert Nye, Mrs Shakespeares
gesammelte Werke.
KiWi Taschenbuch, Köln 1999
»Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?« erkundigte
er sich artig.
»Nein, danke!« entgegnete ich.
Da hat er aber geguckt. Und dann hat er gelächelt, scheinheilig
und spöttisch gelächelt. Hat mich ausgelacht, der Master Shakespeare,
mein Will. Also, ich bitte Euch.
Meinen Lächellord hab ich ihn immer genannt. Gab ja nicht allzuviel,
was er richtig gut gekonnt hat, aber im Lächeln, da war er Meister.
Das Rabenaas, das ausgepichte, gelacht hat er eher selten. Gelacht hat
er eher selten, weil nämlich keiner vorne die zwei schwarzen Zahnstummel
sehn sollte. Faule Zähne, vom Zuckerschlecken. Süßkram.
Der Mann war reineweg verrückt nach Süßkram. Pfefferkuchen,
Marzipan, Florentiner. Zucker war seine Droge, von Anfang an, das kam
wohl, weil er soviel Salz im Blut gehabt hat. Treff mich doch der Schlag,
wenn ich nicht die Wahrheit sag. Aber mit den schlechten Zähnen,
da war er eitel, das kann ich Euch sagen.
Ansonsten war der Master Shakespeare gar nicht eitel, jedenfalls nicht,
was seine Person anging, obwohl, mit seiner Schreiberei, da konnt er
schon recht eitel sein und war ihm sehr daran gelegen, daß seine
theatralischen Kollegen auch ja merken sollten, wie schnell und flüssig
er das alles so hinschreibt. Ihr kennt doch das alte Sprichwort: Eine
Biene im Kuhhaufen meint, sie wär ein König.
Marzipan.
So ein ekliges, klebriges weißes Zeug, wie gefrorene Vanillesoße
mit Knubbeln oben drauf. Wird aus Pistazien und gestoßenen Jordanmandeln
gemacht. Die Grundlage ist verflüssigter weißer Zucker, und
da wird dann Honig und Mehl druntergerührt und Essenzen.
Zuckerplatz, auch so was. Auch so eine Leibspeise von meinem seligen
Will. Ich weiß noch, einmal, an einem Fastensonntag, waren wir
bei den Sadlers, und da futtert der doch ganz alleine ein wahres Ungeheuer
von einem Kuchen in sich rein. Und wir durften zugucken. Frißt
einfach alles auf, und dann sitzt er da und leckt sich die Lippen.
Judiths Zuckerplatz, ein rechter Maulteufel war das, bald zwei Tage
in Rosenwasser gezogen, dann mit vollen Händen Zucker rein, daß
er schön steif wird, dazu das Weiße von sechs Hühnereiern
und der Saft von zwei Orangen. Reicht für vier Leute, oder sollte
jedenfalls. Ja, ein reiner Zuckerbrei, gebacken wie ein Kuchen. Zu den
Ohren rausgekommen ist er ihm, dem Master Shakespeare, die ganze lange
Fastenzeit. Eine Zuckerpuppe war er. Ein Marzipanmann.
*
Ich rede von meinem Gemahl, liebe Leser, von William Shakespeare.
William Shakespeare aus Stratford und London, Sohn von John und Mary
Shakespeare (beide verschieden).
Der selige Master William Shakespeare [...] Derselbe gefeierte Master
Shakespeare, der sehr berühmt war zu seiner Zeit als Verfasser
von 38 Schauspielen, 154 Sonetten, einer Beschwerde über eine Dame,
die ihrem Liebhaber Hörner aufgesetzt hat, zwei langen pornographischen
Gedichten über klassische Themen (doch dazu später) und einem
Klagelied, in dem der Tod eines keuschen Vogelpärchens beweint
wird.
Mein Gemahl. Der süße Master Shakespeare. Der dreckerte Teufel.
Wo wir just bei Vögeln sind, Ihr wißt vielleicht, oder auch
nicht, daß manche seiner dichterischen Bewunderer meine gefeierte
bessere Hälfte den Schwan von Avon nennen. Ich sag Euch, das ist
Unfug. Ich sag Euch, das trifft überhaupt nicht auf ihn zu. Keine
Ahnung von Vogelkunde, kann ich nur sagen. Der Schwan, der singt ja,
wenn der Tod sich naht. Nicht so der Master Shakespeare. Der hat sich
mit dem Gesicht zur Wand gedreht und ist als Papist gestorben. Und wie
ich ihn dann geküßt hab, das war, wie wenn man eine Kirchenkerze
küßt. Sein Gesicht hat weiß gelodert.
Reim und Wein – die zwei zusammen, das kann nicht gutgehn. Ein schauerliches
Bruderpaar, das schon so manchen Mann hat hingerafft, der stärker
war als er. Und ihn hat's auch aufs Totenbett geworfen. Hab ich recht?
Hab ich.
Doch nicht von Master Shakespeares Totenbett will ich erzählen.
Ich hab ein andres Bett im Sinn. Das beste Bett, das ich in meinem ganzen
Leben hab gesehn oder beschlafen oder wo ich der Liebe drin gepflegt.
Ein Bett, von dem manch einer meinen mag, es wär mein Traum, und
so manch anderer, daß es ein Alptraum war.
Wie dem auch sei, der Schwan ist von königlichem Geblüt. William
Shakespeare hingegen war eines Handschuhmachers Sohn. Und ich, die ich
nicht zu seinen dummdreisten Bewunderern zähle, sondern sein liebendes
Weib bin und gleichermaßen seine Witwe, ich sag, er hatte was
von einer Krähe an sich. Hat immer hoch hinaus gewollt, das Rabenaas.
Und ich muß es ja schließlich wissen, oder nicht? Und weil
er so ein ausgepichtes Rabenaas war, darum ist nämlich heute kaum
noch einer übrig, der was von seiner großen Leidenschaft
fürs Zuckerschlecken weiß.
Der Master Shakespeare war unersättlich, so wahr ich hier stehe.
Zuckerplätzchen mit Gewürznägelein, näpfeweis gezuckerte
Biersuppe, Muskatkuchen. Was Ihr wollt, er hat's verschlungen – wenn‘s
nur was mit Honig war, was Gezuckertes, was Süßes.
Doch ohne Verdruß kein Genuß. Drum hatte er auch diese schlechten
Zähne und hat so selten mal gelacht. Weil nämlich keiner sehen
sollte, was für Ruinen er im Mund gehabt hat als Folge von dem
ganzen Zuckerschlecken, vor allem nicht die wichtigen Leute, aber wenn
einer so gerissen ist wie der, dann kann er lächeln, soviel Ihr
wollt, ohne dabei auch nur ein einziges Mal die Zähne zu zeigen.
Wie der Master Shakespeare das gemacht hat? Er zog beim Lächeln
immer die Oberlippe runter, daß die kleine Delle in der Mitte
ganz platt wurde, da wo der Schutzengel, wie mir meine Mutter einst
erzählt hat, den himmlischen Daumenabdruck hinterläßt,
wenn wir auf diese Welt kommen. Soll in Frieden ruhen, meine Mutter,
und mein Lächellord, soll er recht weich liegen in der Trinity
Church im Chor!
Nicht, daß ich an Schutzengel glaube. Nicht, daß mein Will
gemeint hat, ich wär wichtig.
*
Es muß der 22. April gewesen sein, der Tag, von
dem ich spreche, und das Jahr war anno 1594. Ein lahmer Tag war das,
weder Fisch noch Fleisch. Ein Tag, der sich nicht hat entscheiden können,
ob er zum Frühling reifen oder Winter bleiben will.
Jetzt werdet Ihr Euch natürlich fragen, wie es möglich ist,
daß ich mich noch so genau an einen Tag erinnern kann, der so
weit zurückliegt, und wie ich mir so sicher sein kann, was dazumal
für Wetter war, und warum ich bis heute jedes Wort weiß,
das mein Will zu mir gesagt hat und ich zu ihm und so weiter und so
fort. Das kann ich Euch nicht verdenken.
Vielleicht meint Ihr gar, ich lüge. Vielleicht glaubt Ihr, ich
denk mir das aus oder üb mich im Erdichten. Nun denn, dem ist nicht
so. Ich erzähl Euch alles ganz genau so, wie's gewesen ist, ich
sage Euch die reine Wahrheit. Hier wird nichts erdichtet, jedenfalls
nicht von mir. Beim Himmelreich, ich gebe Euch mein Wort, daß
ich Euch keine Märchen erzähle. Ich bin nun mal mit einem
vortrefflichen Gedächtnis gesegnet, oder gestraft. Und besonders
gut ist mein Gedächtnis, wenn's darum geht, was er gesagt hat und
was ich gesagt hab, was wohl daran liegen mag, daß es so viele,
viele Jahre gab, wo wir überhaupt kein Wort miteinander geredet
haben.
An das Datum kann ich mich erinnern, weil's der Tag vor Sankt Georg
war, also der Tag vor Master Shakespeares Geburtstag, und auch der Tag,
bevor er eingegangen ist - in die ewige Seligkeit. (Ja, er ist an seinem
Geburtstag gestorben. Er war halt ein ordnungsliebender Mensch.) Und
wie das Wetter war, weiß ich, weil ich für so ein Wetter
nicht richtig angezogen war, und außerdem, weil mir aus Gründen,
hinter die Ihr schon noch kommen werdet, eh ich am Ende bin, jede kleinste
Kleinigkeit von damals ins Gedächtnis eingebrannt ist.
Die Geschichte, die ich Euch erzählen will, ist sehr, sehr merkwürdig.
Das müßt Ihr mir glauben. Es ist schon wahr, was die Leute
sagen: Die Wahrheit ist phantastischer als alle Phantasie. (Der Master
Shakespeare war da anderer Ansicht? Na, das ist mir ja ein schöner
Shakespeare!)
Folgendes hat sich also zugetragen. Wohlan und aufgemerkt.
*
Als der Master William Shakespeare sich überflüssigerweise
erkundigte, ob ich etwa den Wunsch hätte, mit einem Sommertag verglichen
zu werden, und ich dankend ablehnte, standen wir zusammen an der London
Bridge. Ich sag zusammen, weil dieses Zusammen in einer Ehe, wie die
unsere eine war, durchaus der Erwähnung wert ist.
Er bohrte sich seit mindestens fünf Minuten traumverloren in der
Nase. Ich für mein Teil zählte die Häupter der Verräter,
die auf der Brücke auf Pfählen aufgespießt waren. Und
eine Kälte war das, ich kann Euch sagen. Nicht der kleinste Sonnenstrahl
am Himmel. Über uns kreischten die Möwen. (Häßliche,
grausame, gemeine Vögel, ich hab sie nie gemocht.)
»Winter«, sagte plötzlich mein Will. Und dann lüpfte
er schwungvoll den Hut, als ob er justament eine wichtige neue Wahrheit
entdeckt hätte. Im ersten Moment meinte ich, er hätte in meinen
Gedanken gelesen, denn schließlich hatte ich ja eben noch gedacht,
dieser Tag kann sich nicht entscheiden, in welche Jahreszeit er gehört.
Doch dann sah ich das grüne Funkeln in Master Shakespeares Augen,
und da war ich aufs Schlimmste gefaßt.
»Wie, Winter?« fragte ich.
»Du, Winter!« versetzte Master Shakespeare. »Anne
Hasse-weh den Winter will«, fuhr er grinsend fort. »Du gleichst
fürwahr mehr einem Tage im Dezember«, schloß er, mein
Will. Da hab ich ihn gehauen. Was hättet Ihr denn an meiner Stelle
getan?
Ich hab ihn gehauen, freilich nicht halb so arg, wie ich hätte
können. Nicht so wie bei dieser bedauerlichen Geschichte damals
in Shottery, wo er koppheister in den Mühlgraben geplumpst ist.
In London hab ich ja auch keine Suppenkelle bei mir gehabt. Ich pflege
meine Küchengerätschaften nicht mit mir herumzutragen.
»Vergleiche muffen, Sir«, sprach ich.
»Sagtest du duften?« fragte der Master Shakespeare.
Ich stampfte mit dem Fuß auf. Und dann hab ich ihn noch einmal
gehauen, diesmal mit der Faust.
»Wollt Ihr etwa behaupten, ich wär ein Bauerntrampel?«
kreischte ich. »Nur Bauerntrampel sagen duften. Ich hab nicht
duften gesagt.«
»Dann mußt du dir wohl den Kopf erkältet haben«,
entgegnete er. Es gibt Sachen, da fällt einem keine Antwort drauf
ein.
Ein schönes Willkommen in London! Ein schöner Anfang für
einen Urlaub.
*
Ich nehm kein Blatt vor den Mund. Ich mein, ich hatte
doch fürwahr was Besseres verdient. Ich glaub, jede anständige
Frau oder Tochter würde mir Recht geben. Ihr dürft nicht vergessen,
daß ich meilenweit durch den Modder gekommen war, um ihn zu besuchen,
und mich seinethalben gar mächtig ins Zeug gelegt hatte. Ich hatte
immerhin meine pfirsichfarbne Taffetrobe an, die mit der Halskrause,
und die neuen grünen Stiefelchen aus ganz, ganz weichem Rindsleder.
Ein Schaf, das sich zum Lamm hat rausgeputzt, wie man so böse sagt,
aber ein durchaus präsentables Schaf, alles, was recht ist. Verlorene
Liebesmüh. Da gibt ihm der liebe Gott nun so ein braves Weib, und
was hat's ihn geschert?
»Sag, Weib, willst du mir meinen Juni zum September machen?«
fragte der Master Shakespeare.
Geh doch und koch dir deine Rübe weich, dacht ich bei mir. Denkt
euch mal. Denkt da bloß mal gründlich drüber nach, meine
Lieben. Das, müßt ihr wissen, nennt man eine
Metapher. Man nimmt ein Ding und sagt, es wär ein anderes. Nicht,
daß das irgendwem was nützt. Das ist eine durch und durch
unnütze Sache. Man vermengt zwei Gedanken zu einer zierlichen Sentenz,
und das alles bloß, damit die andern einen für gebildet halten.
Gebildet? Verbildet, wenn Ihr mich fragt.
Der Master Shakespeare hat den lieben langen Tag nichts anderes getan,
selbstredend. Man könnte glatt sagen, das war seine zweite Natur
- das Metaphernmachen. Er hat sogar Geld dafür gekriegt, aber ich
weiß genau, er hätt's auch so gemacht, tagein, tagaus, selbst
wenn man ihn nicht bezahlt hätte für seinen Witz. Hätt
er sich mal lieber einen Ruck gegeben und hätt es sein lassen,
aber dazu hat's anscheinend nicht gelangt.
Witz hat er freilich gehabt, und nicht zu knapp, aber er ist nicht immer
weise damit umgegangen. Und wie er's mit den Wörtern trieb, so
auch mit seinem Leben. Und mit seinem Weib. Mein Will war ein arger
Verschwender. So, nun ist es heraus. Vergebt mir, daß ich am Leben
bin. Gleich geh ich in den Garten und freß Würmer.
Sei's drum, wo ich doch nun versuchen will, Euch bei dem, was ich hier
niederzuschreiben gedenke, die Wahrheit zu sagen, so, wie ich sie sehe,
die Wahrheit über Master Shakespeare wie auch die Wahrheit über
mich selber und unsern Ehestand und unsere Familie und seine Arbeit
und meine Arbeit und darüber, wie es zwischen uns war in all den
Jahren, die ich ihn gekannt, wie's war, wenn wir zusammen waren und
wenn wir nicht zusammen waren, so könnt Ihr's auch gleich von Anfang
an wissen: ich finde nicht, daß aus dem ganzen Schnickschnack
mit der Dichtkunst viel was Gescheites rausgekommen ist, und zwar für
keinen.
Das war aber ein langer Satz. Ich mag keine langen Sätze. Doch
aufgemerkt. Was tun sie denn, die Dichter? (Ich war immerhin mit einem
verheiratet, Ihr Leser.) Was tun sie denn, die Dichter, wenn wir mal
ehrlich sind? Die Dichter spielen mit den Wörtern, damit sie sich
das Denken sparen können. Zum Denken braucht man Wörter. Aber
es ist weder recht noch reicht es aus, damit nur Unfug zu treiben.
Metaphern: in Wahrheit ist das doch nichts weiter als eine hochtrabende
Form von Schmeichelei oder von Beleidigung. Ein Ding kann kein andres
sein. Das versteht sich von selbst. Du sollst keine Metaphern machen,
sag ich. Und schon gar nicht solche, die den Ehestand verhöhnen.
Weil ich, wenn Ihr's schon wissen müßt, acht Jahre älter
war als Master Shakespeare. Und weil der Master Shakespeare allemal
dafür gesorgt hat, daß ich ihn auch ja nicht vergesse, unseren
kleinen, unseren winzig kleinen Altersunterschied.
Robert Nye
© 1999 Kiepenheuer & Witsch
Aus: Robert Nye, Mrs Shakespeares gesammelte Werke,
KiWi Taschenbuch, Köln 1999
Der Autor hat nach diesem Buch ein Hörspiel mit dem
Titel Mrs Shakespeare geschrieben, das – ebenfalls in meiner Übersetzung
– mit Katharina Thalbach in der Rolle der Anne Hathaway am 17. 9. 2000
in WDR 5 erstmals ausgestrahlt wurde.