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Leseproben aus
James Kelman, Windhund zum Frühstück


Fremdsprachler

Ein kluger Mann hütet sich, mit Fremdsprachlern Karten zu spielen. Eigentlich hätte Mister Joseph Kerr diese Maxime ein für allemal verinnerlicht haben müssen. Und wie kam es, daß er der Versuchung von neuem erlag? Das kam, weil er meinte, er kann sie austricksen. Hätte man sich vor dem Spiel mit ihm darüber unterhalten, hätte er bloß flüchtig mit dem Kopf genickt - so tief hatte er diese Maxime verinnerlicht. Und dennoch erlag er der Versuchung. Natürlich. Spieler sind ein sonderbares Völkchen. Sicher, als er merkte, daß seine Taschen leer waren, legte er die Stirn in Falten. Genau das tat er, er legte die Stirn in Falten. Dann starrte er sie an, die Fremdsprachler, die ihn inzwischen längst vergessen hatten. Und die Croupiere harkte den Tisch leer für die nächste Runde. Und ja, sie verbarg auch auf eine ziemlich durchschaubare Weise ihre Ungeduld, diese Croupiere, und daß sie dies auf eine so durchschaubare Weise tat, das war ihre Methode, sie zu zeigen, ihre Ungeduld.
Mister Joseph Kerr schob sich die Brille ein bißchen höher auf die Nase - eine nervöse Geste. Sein Sessel bewegte sich geräuschvoll, was die anderen Spieler veranlaßte, zu ihm hinüberzukucken.
Aber was sollte er jetzt machen? Er konnte gar nichts machen. Nein, es war nichts zu machen. Dieser Tatsache mußte er ins Auge schauen. Und doch, die verdammten Fremdsprachler hatten ihm sein Geld mit Hilfe von Tricks abgenommen, die man, gelinde gesagt, schwerlich anders denn als über alle Maßen unfair bezeichnen konnte. Und wie, in drei Teufels Namen, hätte ihm wohl der Umstand, daß das seine eigene Schuld war, ein Trost sein können?
Er kratzte sich am Ohr und blieb einfach neben seinem Stuhl stehen, und dann seufzte er etwas lauter als nötig, aber durchaus verbittert, und er erklärte, die Sache sei ihm zu weit gegangen, und er sei nun sozusagen am Ende. Die Croupiere antwortete darauf nur mit einem Blick, mit einem Blick allerdings, der von einem neuen Spieler geradezu als Aufforderung hätte verstanden werden können.
Mister Joseph Kerr zuckte die Achseln. Dann trat er beiseite, machte dem neuen Spieler Platz, der sich in aller Ruhe auf dem Stuhl niederließ. Es trat eine Pause ein. Mister Joseph Kerr hatte leicht spöttisch die Augenbrauen hochgezogen. Er lächelte dem neuen Spieler zu und tippte ihm auf die Schulter und sagte zu ihm, er solle sich unbedingt hüten vor dem, was er, Joseph Kerr, so haargenau vorhersehe. Der neue Spieler blickte empört auf die Hand auf seiner Schulter. Was soll das heißen? murmelte er.
Aller Wahrscheinlichkeit nach war auch er ein Fremdsprachler. Mister Joseph Kerr nickte matt. Mag sein, er wurde einfach alt, verdammt! War das möglich? Er strich seufzend um den Tisch, ging weiter wie jemand, der einem Ausgang zustrebt. Er betrat die Herrentoilette und betrachtete sich im Spiegel. Weiß Gott ein erbärmlicher Anblick, dieses müde Gesicht, in das er sah; und dann, was war das, ungefähr als ob Wolken über seinen Augen lägen, aber natürlich, die Brille, sie war beschlagen. Der Gedanke, daß er wenigstens noch atmete, wenigstens atmete er noch, das war immerhin etwas, das durfte er nicht vergessen.


Leitartikel aus einer Zeitung von Format

Man fragt sich vielleicht, warum die Leute mitunter, wenn von der Unendlichkeit die Rede ist, regelrecht aus den Latschen kippen. Das hat nichts mit Heuchelei zu tun, der Grund dafür sind echte Selbstzweifel. Angesichts der allgemeinen Mystifizierung, die uns gleich einem Leichentuch von den Schultern herabhängt, sollten wir nicht aufheulen, wenn einer unserer Bekannten das Schwert niedersausen läßt. Mit so was muß man schließlich immer rechnen.


Ungeklärtes Zucken

In dem anschließenden Taumel zerfließt der Körper in ein ungeklärtes Zucken, ungeklärt infolgedessen, daß er einige Zeit vor dem Ruf zur Ruhe gelegt wurde. Wobei der „Ruf“ nicht als Ruf im übertragenen Sinne zu sehen ist; wird doch sein Ursprung derart sein, daß Vorhersagen dort auf große Schwierigkeiten stoßen. Auch muß man den vorausgegangenen Zustand des Unwohlseins bedenken. Natürlich trifft es zu, daß Vorsicht geboten ist, wenn man ein Urteil wagt, aber nichtsdestoweniger, nichtsdestoweniger würde ich sagen, wenn Sie den Drang haben zu springen, dann springen Sie doch.


Eine alte Geschichte

Sie lief schon seit ner Ewigkeit in dieser niedergeschlagenen Verfassung durch die Gegend, also hätt ichs wissen müssen, daß was nich stimmte. Aber ich wußte es nich. Es is oft so, daß man Dinge nich sieht, obwohl man beinah darüber fällt. Ich sitz schon so lange zuhause. Mit der Zeit kommt man in son Dämmerzustand. Man sieht vieles nich mehr richtig, sogar bei den Blagen, besonders bei den Blagen. Andrerseits, sie is kein Wicht. Nich mehr. Sie is ne junge Frau. Ach, ich will die Geschichte nich erzähln.
Wie kannst du so was sagen. Natürlich muß die Geschichte erzählt werden.
Mm, jo, ich weiß schon Bescheid.
Na schön.
Mmm.
Okay, also zu deiner Geschichte ...
Jo.
Sie handelt von nem Mädel, richtig? Und die is niedergeschlagen, wegen ihrm Freund wahrscheinlich - eh?
Ich möcht es nich erzähln.
Aber du mußt es erzählen. Du mußt es erzählen. Außer ... es is gar keine richtige Geschichte.
O jo Gott ne Geschichte isses schon, keine Bange.


Aus: Windhund zum Frühstück (engl. Greyhound for Breakfast
Europa Verlag, Wien 1993, nicht mehr lieferbar

© Christa Schuenke

Der schottische Autor James Kelman, geb. 1946, lebt in Glasgow. Für seinen Roman How Late it was, How Late (deutsch: Spät war es, so spat – Übersetzt von Silvia Morawetz, Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2004) erhielt er 1994 den Booker Prize. Auf deutsch liegen weiterhin vor in meiner Übersetzung: Zocker (engl. A Chancer), Europa Verlag, Wien, 1993, nicht mehr lieferbar, © Christa Schuenke, und Sieben Tage im Leben eines Rebellen (engl. A Disaffection), Europa Verlag, Wien 1994, nicht mehr lieferbar, © Christa Schuenke, sowie in der Übersetzung von Silvia Morawetz Busschaffner Hines (engl. Busconductor Hines), Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2003.