Leseprobe aus
Mark Z. Danielewski
Das Haus
- House of Leaves
Klett-Cotta, Stuttgart 2007
Die Polizei hat Zampanò genauso vorgefunden,
wie Lude ihn vorgefunden hatte, bäuchlings auf dem Boden liegend.
Der Notarzt hat gemeint, er kann nichts Ungewöhnliches feststellen,
alles ganz normal, über achtzig und Zisch-Bumm, nichts zu machen,
das alte Spiel, Kreislaufkollaps, die Lampen flackern und gehn aus,
und schon haben wir den Salat, wieder liegt einer da und ist tot
und rings um ihn herum lauter Zeugs, das für niemand was wert
ist, außer für den, der da liegt und nichts davon mitnehmen
kann. Trotzdem, der hier war immer noch besser dran als die Prostituierte,
die das Team vom Notarztwagen vor ein paar Stunden gesehn hatte.
Die hatte zerfetzt in einem Hotelzimmer gelegen, und Teile von ihr
hatte einer dazu benutzt, die Wände und die Decke rot anzustreichen.
Dagegen sah der hier ja schon beinah gut aus.
Es hat ein bisschen gedauert, bis die ganzen Formalitäten erledigt
waren. Polizei kommt und geht, das Notarztteam macht sich an der
Leiche zu schaffen, um ganz sicher zu sein, dass der Alte auch wirklich
tot ist, die Nachbarn und schließlich sogar Flaze stecken
den Kopf zur Tür rein und glotzen, staunen oder weiden sich
einfach bloß an diesem Schauspiel, das vielleicht eine gewisse
Ähnlichkeit mit ihrem eigenen Ende haben könnte. Es war
schon sehr spät, als endlich alles vorbei war. Lude stand alleine
in der Wohnung, der Leichnam war weg, die Staatsmacht auch, sogar
Flaze, die Nachbarn und die ganzen übrigen Schaulustigen -
alle weg.
Weit und breit keine Menschenseele.
"Scheiße, Mann, mit achtzig ganz alleine in dem Dreckloch
da", hatte Lude hinterher zu mir gesagt. "Mann, so will
ich aber später nicht abtreten. Keine Frau, keine Kinder, kein
gar nix. Nicht mal ein Freund." Da rnuss ich wohl gelacht haben,
weil, plötzlich ging Lude auf mich los. "Ey, Großer,
glaub ja nicht, du kannst dir hier irgendwas ausrechnen, bloß
weil du jung bist und literweise deine Wichse in der Gegend verspritzt.
Guck dich doch mal an, du arbeitest in ' nem Tattoo-Studio und stehst
auf 'ne Stripperin, die Thumper heißt." Mit einem hatte
er jedenfalls recht: Zampanò hatte keine Familie, keine Freunde
und fast keine Kohle.
Am nächsten Tag hat der Vermieter eine Leerstandsmeldung aufgehängt,
und die Woche drauf hat er erklärt, das ganze Zeugs da in der
Wohnung war keine 300 Dollar wert, und hat bei so einer Hilfsorganisation
angerufen, dass sie alles abholen sollen. Das war an dem Abend,
wo Lude seine schreckliche Entdeckung gemacht hat, kurz bevor die
Jungs von Goodwill, oder wo die sonst her waren, mit ihren Handschuhen
und Sackkarren angefegt kamen.
Ich war im Tiefschlaf, wie das Telefon geklingelt hat. Bei jedem
anderen hätt ich aufgelegt, aber Lude ist ein guter Freund,
gut genug, dass ich tatsächlich morgens um drei den Arsch ausm
Bett bewegt hab und los bin zur Franklin Avenue. Lude stand schon
draußen vorm Eingang, er hatte so ein fieses Funkeln in den
Augen.
An dem Punkt hätt ich einfach kehrtmachen sollen. Ich hätt's
wissen müssen, dass da was nicht stimmt, zumindest hätt
ich ahnen können, dass da was in der Luft lag, schon wegen
der Uhrzeit, und wegen der Art, wie Lude mich angeglotzt hat, wegen
allem halt - Scheiße, Mann, ich muss total bekloppt gewesen
sein, dass ich diese ganzen Anzeichen einfach nicht wahrgenommen
hab. Ludes Schlüssel, wie die gerasselt haben, als er das Tor
aufschloss, wie so ein Knochenglockenspiel, und die Scharniere,
wie die plötzlich losgekreischt haben, als ob wir kein normales
Wohnhaus mit lauter Mietern drin betreten, sondern irgend so eine
steinalte schwammzerfressene Gruft. Oder wie wir den nasskalten,
grabfinsteren Flur entlanggestapft sind, wo oben von den Lampen
so komische Lichtflitter runterhingen, heute würde ich sagen,
dass die das Werk irgendwelcher grauen, urzeitlichen Spinnen waren.
Oder, wahrscheinlich das Allerwichtigste, wie Lude geflüstert
hat, als er mir so paar Sachen erzählte, Sachen, die mir damals
so was von am Arsch vorbeigegangen sind, aber heute, tja, heute
wären meine Nächte eine ganze Ecke kürzer, wenn ich
mich nicht da dran erinnern müsste.
Ist euch das auch schon mal passiert, dass ihr euch dabei zuguckt,
wie ihr in der Vergangenheit irgendwas macht, und ganz egal, wie
oft ihr euch da wieder dran erinnert, jedes Mal wollt ihr Halt schreien,
den Verlauf der Handlung umlenken, die Gegenwart noch mal neu ordnen?
So geht's mir jetzt, wenn ich sehe, wie mich die Trägheit blöde
mitschleift oder meine eigene Wissbegierde oder was weiß ich,
und es muss was anderes gewesen sein, aber ich hab keine Ahnung,
was genau, vielleicht gar nichts, vielleicht ist alles nichts -
ziemlich sinnlose Kombination von Wörtern, "alles nichts",
aber gefallen tut sie mir trotzdem. Ist sowieso nicht wichtig. Was
immer auch die Bahn all meiner Gestern lenkt, in der bewussten Nacht
war's stark genug, mich mitzuziehen, vorbei an all den Schlafenden,
die da, den Lebenden fein säuberlich vom Leib gehalten, weggesperrt
waren hinter dicken Türen, bis ich am Ende des Flurs vor der
letzten Tür links stand, die übrigens vollkommen unauffällig
war und dennoch eine Tür zum Reich der Toten. |
www.danielewski.de
Mark Z. Danielewski (geb. 1966)
© 2007 Verlag Klett-Cotta
Aus: Mark Z. Danielewski, Das Haus - House of Leaves (engl. House of
Leaves), Klett-Cotta, Stuttgart, 2007. ISBN 978-3-608-93777-0
Mark Z. Danielewsk, Sohn des polnischen Film-Regisseurs
Tad Danielewski. Sein Erstlingsroman House of Leaves, an dem er zehn
Jahre lang gearbeitet hat, wurde von der Kritik begeistert aufgenommen,
sein zweiter Roman, Only Revolutions, war Finalist im Rennen um den
National Book Award 2007.
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