Isaac Bashevis Singer, Schatten über dem Hudson, Carl Hanser Verlag, München 2000 Shermans radikal ent-jiddisierte Fassung brachte einen
kulturkritischen Roman hervor, der links und rechts genehm war und gut
besprochen wurde. Die über weite Strecken hervorragende deutsche Übersetzung
von Christa Schuenke, die auf Shermans Text basiert, nimmt die amerikanische
Modernität... zurück und restauriert die ostjüdische Atmosphäre.
Schuenke flicht viele jiddische Idiome in ihre Fassung ein, um, wie
sie erklärt, deutsche Leser in die Welt der polnischen Juden hineinzuziehen. Daß Schuenke, ohne
selbst direkten Zugang zum Jiddischen und damit zum Originaltext zu haben,
mit Ausdrücken wie >bas jechide< (einzige Tochter) oder >batlen<
(unpraktischer Mensch) oft ins Schwarze trifft, verdankt sie einem erstaunlichen Sprachgefühl.
Des Redens ist kein Ende in diesem Buch.
Den Telefonhörer aufzulegen kommt einer Hinrichtung
gleich, ein Gespräch nicht anzunehmen kann Mord bedeuten.
Reden ist Existenzbehauptung, Zuhören nicht minder. Kaum
mehr als das Wort, das überlieferte Wissen ist den
polnischen Juden geblieben, die dem Holocaust entkommen
und in New York gelandet sind. «Wenn Gott beschliesst zu
schweigen, kann niemand ihn zum Sprechen bringen.» Als
ob sie dieses Schweigen unhörbar machen wollten,
streiten, philosophieren, predigen sie. Nicht Gott klagen
sie an, sondern sich selbst - weil sie noch da sind.
Das Spannungsfeld der Lebensanschauungen, das Singer in «Schatten
über dem Hudson» so ergreifend beschreibt, spiegelt sich auch in der
Sprache wider. Dieses in Emigrantenkreisen typische Gemisch aus
Englisch, Jiddisch, Hebräisch, Polnisch, Russisch und Deutsch auch in
der Übersetzung zu vermitteln, ist Christa Schuenke überzeugend
gelungen.
In der gelungenen [...] Übersetzung nun klingt die jiddische
Tonart weiterhin durch, was dem Roman einen gleichermaßen
authentischen wie eigenwilligen Charakter verleiht.
Die Rede ist von Hertz Grein, der zentralen Gestalt in dem ebenso
opulenten wie mitreißenden Roman des Nobelpreisträgers Isaac
Bashevis Singer: Schatten über dem Hudson ist bereites in den
Jahren 1958 und 1959 in einer jiddischen Zeitung, aber erst 1998 auf
Amerikanisch und nun endlich auf Deutsch erschienen, und zwar in einer
rundum gelungenen Übersetzung, die das Jiddische wohldosiert
hervorscheinen lässt und durch ein umsichtiges Glossar ergänzt wird.
Dieser frühe Roman Singers ist düster und bitter, mit einer
ruhigen und starken Verzweiflung, wie eine tragischere Version seines
späteren Buchs Feinde. Aber das Buch strahlt auch einen
grotesken Humor aus, der über en materiell wohlhabenden und emotional
armen Helden schwebt. [...] Es ist ein schöner, breiter, ausführlicher,
sicher erzählter Roman. Ein klassischer Singer, der letzte seiner
Art.
Singers Schatten über dem Hudson ist großes, schönes und
altmodisches Erzählkino: Einzelheiten wie bei Thomas Wolfe,
Leidenschaften wie bei Dostojewski.
Isaac Bashevis Singer: Schatten über dem Hudson. Roman. Aus dem Amerikanischen von Christa Schuenke. Verlag Carl Hanser, München 2000. 644 S., Fr. 47.50. |