Herman Melville, Maskeraden oder Vertrauen gegen Vertrauen, Achilla Presse, Hamburg & Bremen 1999 Immer ist er ein rhetorisch versierter, intellektueller Ironiker, manchmal etwas schematisch, wie bei Ideenromanen, und deshalb ist der Stil ebenso anstrengend (wir sind ja nichts mehr gewohnt!) wie ungeheuer. Aber Melvilles Projekt ist großartig und überwältigend, dazu trägt auch Christa Schuenkes neu durchgesehene Übersetzung bei, die die schwierige, fast anmaßende Sprache des Originals von allem Verschwiemelten freihält.
Nun legen die Buchmacher aus Bremen und Hamburg Maskeraden oder Vertrauen gegen Vertrauen vor, und erneut zeigt sich, dass Melville in Sachen Witz, Häme, Satire und Erzählwut Kollegen wie etwa Mark Twain oder Jonathan Swift in nichts nachsteht. [...] Gegen die Fadheit des Lebens kämpft Herman Melville mit seien Maskeraden fulminant an.
Dieser Roman, der jetzt in Christa Schuenkes Übersetzung unter dem Titel Maskeraden oder Vertrauen gegen Vertrauen erschienen ist, ist sein unzugänglichster und schwierigster, ein gesellschafts-, kultur- und religionskritischer, ein zutiefst erkenntnisskeptischer Roman. Die Welt: eine Serie von Täuschungen; das Leben: eine Maskerade; alles Handeln: nur Schauspielerei – so seine pessimistische Bilanz. [...] Heute gilt Maskeraden als sein radikalstes und modernstes, als sein amerikanischstes Werk, ein Werk, das einige der widerständigsten Bücher der zweiten Jahrhunderthälfte antizipieren sollte: Ralph Ellisons Der unsichtbare Mann, William Gaddis‘ Die Fälschung der Welt und V, den ersten Roman von Thomas
Pynchon.
Sein letzter großer Roman gibt nur fast heroisch nüchtern Diagnosen von Sachverhalten, die übrigens erst heute langsam etwa in der Soziololgie analysiert werden. Der Preis für diese frühe literarische Parforce-Tour in die Moderne Maskeraden war hoch: Er fiel aus der Literatur seiner Gegenwart endgültig heraus. Aber auch wer Maskeraden jetzt anderthalb Jahrhunderte später aufschlägt, sollte vorher besser alles vergessen, was von Romanen heute üblicherweise erwartet wird. Es gibt in dem letzten Groß-Werk dieses einsamen Giganten keine erzählerischen Spannungsbögen, keine nennenswerten Schilderungen der durchreisten Mississippi-Landschaft – und nicht einmal, als Appetitanreger für die schwere Kost dieses Romans, etwa kitzlige Liebesaffären. Wer allerdings darauf verzichten kann, wird reich entschädigt. Denn wie im Mississippi-Delta verzweigen sich in den 45 Kapiteln von Maskeraden die einzigartigen Kräfte von Melvilles Sprache und Phantasie sowie seines Mutes, alle Antriebe, erhabenen Absichten und tückischen Schwächen der Menschen bei ihrem Zusammenleben zu erkunden, zu einer ungeheuer üppigen literarischen Landschaft, in der man sich immer wieder verliert und das Glück erfährt, dabei überall auf wunderbare Blüten seiner Phantasie und Einsichten zu treffen. Melville ist einer der seltenen Schriftsteller, die zwar nie ein großes Publikum fanden und finden werden, aber deren misslungene Werke noch gelesen werden dürften, wenn die gelungenen von anderen längst verglüht sind.
Maskeraden
erschien 1857 und ist der letzte Roman vor Melvilles Verstummen. [...] Es ist nicht sein Hauptwerk, etwas sperrig ist die Sprache und der Aufbau, aber an vielen Stellen funkelt der Roman und sprüht vor Ironie und Sarkasmus. Daran hat die glänzende Übersetzung von Christa Schuenke keinen geringen Anteil [...], und auch die vielen klugen und kurzen Anmerkungen dröseln die geistesgeschichtlichen Hintergründe gut auf. Erst sie machen klar, daß dieser immer noch witzige Roman auch ein Angriff auf den damals schon kursierenden Zweckoptimismus und bigotte Überzeugungen war.
Da der deutsche Buchmarkt nicht gerade überflutet ist von Melville-Romanen, nimmt es Wunder, dass die Achilla Presse ausgerechnet einen der vertracktesten in neuer Übersetzung vorgelegt hat. Immerhin liest man die leicht altertümelnde Fassung von Christa Schuenke mit Vergnügen.
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