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Geoffrey Beattie, Corner Boys, Klett-Cotta, Stuttgart 2000


Wann die festgefahrenen Friedensverhandlungen zwischen Katholiken und Protestanten in Nordirland endlich Erfolg zeigen, diese Frage bleibt wohl noch lange offen. Kein Zweifel besteht dagegen darüber, dass der Konflikt seine Spuren in der Psyche ganzer Generationen hinterlassen wird. Die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens in einer vom Bürgerkrieg zerrissenen Gesellschaft sind Thema zweier aktueller Romane. Thomas Morans Wasser trage mich spielt in der Universitätsstadt Cork. Hier, im malerischen Süden Irlands wächst die Medizinstudentin Una als Waise auf. Politisch uninteressiert, genießt sie ihre erste Liebe zu dem weltmännischen Aidan - bis sie erfährt, dass ihr Großvater als Handlanger für die IRA arbeitet. Verzweifelt flüchtet sie sich noch tiefer in ihre Beziehung - ein Fehler, der Roman endet in einer Gefängniszelle, wo Una als "Terroristenliebchen" einsitzt.
Anders als die behütet aufgewachsene Una hat der 16jährige James, Held in Geoffrey Beatties Roman Corner Boys schon von kleinauf hassen gelernt. Er wohnt in den protestantischen Slums von Belfast. Lachen mit den Jungs aus der Clique, Mutproben und Parties sind sein Lebensmittelpunkt, aber dann werden die Jugendlichen von den Familienoberhäuptern im Viertel zur Mitarbeit in den Untergrundorganisationen herangezogen. James´ Freund Tucker etwa darf bei Bestrafungen assistieren. James erkennt, dass die Aktivitäten der Unionisten eine Eigendynamik entwickelt haben, sie spalten seine Clique wie die übrige protestantische Bevölkerung in "großsspurige Ordnungshüter" und ängstliche, duldende Zivilisten. Auch in der Beziehung zu einer Katholikin findet James keinen Trost, resigniert verläßt er Nordirland.
Ob der Einzelne sich nun betont von der Politik fernhält oder die Verhältnisse kritisch hinterfragt, in einer solchen Umwelt lässt sich kein Lebensglück finden, dort ist nur Platz für Parteigänger, so die düstere Quintessenz beider Bücher. Moran hat sie jedoch wesentlich kommerzieller verpackt: Das schubweise Eindringen der politischen Wirklichkeit in Unas Leben ist so effektvoll in Szene gesetzt wie ihr Traum von Zweisamkeit im schaurig-schönen Cork. Die IRA-Aktivisten behalten ihre Gangster-Aura, was natürlich auch schauplatzbedingt ist.
Beattie dagegen setzt auf das, was schon die Angry Young Men auszeichnete: Viel Sozialkritik im jugendlichen Proletarier- Slang: Kanak Sprak auf nordirisch. Viele entlarvende Blicke: Ohne Strumpfmaske sieht der Unionistenkämpfer nicht mehr cool aus, sondern wie ein sheriff-spielender Kleinbürger, der in einer friedlicheren Gesellschaft wohl Schützenkönig geworden wäre. Bietet Moran spannende Bettlektüre mit Anspruch, so ist Beatties Romandebüt dem politisch interessierteren Leser zu empfehlen: Die Milieustudie zeigt, was Korrespondentenberichte nicht leisten können, nämlich die alltäglichen Zwänge einer Stammesgesellschaft fernab des spektakulären Stoffes für Sondermeldungen.
- Kieler Nachrichten vom 31.03.2000 -
("Zwei Romane darüber, wie die Politik in den Belfaster Alltag wächst: Kanak Sprak auf Nordirisch" von Esther Härtel / Thomas Moran: Wasser trage mich. Roman. Lichtenberg Verlag, 304 Seiten, 36,90 DM. Geoffrey Beattie: Corner Boys. Roman. Klett-Cotta Verlag, 261 Seiten, 29,80 DM.)

 

Corner Boys von Geoffrey Beattie ist ein spannender, gut lesbarer Roman über das Leben in Belfast und die stolze Starrköpfigkeit ihrer Bewohner, ob Protestanten oder Katholiken. Die Geschichte von Liebe und Verrat hat durchaus street credibility. Auch in der deutschen Übersetzung rede James, wie ihm der Schnabel straßenjungenmäßig gewachsen ist, ohne daß der Stil in einen Möchtegern-Slang verfällt. Auf dem Papier ist in Nordirland mittlerweile Frieden eingekehrt. Ob es aber langfristig ein tolerantes Miteinander der Bevölkerungsgruppen gibt?
- Hessischer Rundfunk, HR 2 -

 

Dieses Thema bzw. die ganze irische Geschichte seit 1916 ist immer wieder Gegenstand der Literatur gewesen und ist es hauch heute noch. Patrick McCabe (Stadt an der Grenze) oder vor drei Jahren ganz herausragend Robert McLiam Wilson (Eureka Street, Belfast) fanden jeweils individuelle Ansätze, um sich auf ihre Weise der Brutalität und der Einzigartigkeit der Geschichte ihres Landes schreibend anzunähern. Die in letzter Zeit wohl deutlichste literarische Äußerung [...] kommt von dem in Belfast geborenen und heute in Manchester lebenden Geoffrey Beattie. Corner Boys heißt sein Beitrag zu Nordirland, zu Bomben und Gewalt, die längst normaler Bestandteil des Alltags geworden sind und dadurch eine ganz andere Realität bewirken, als wir sie beispielsweise aus unseren Städten kennen. Im Mittelpunkt der schnell und sehr direkt geschriebenen Geschichte steht James, der ohne Vater aufgewachsen ist, mit seiner Mutter, die in der Garnfabrik arbeitet, wie so viele, die wenigstens noch einen Job haben, in einer ärmlichen Belfaster Gegen wohnt und der trotzdem eine Ausnahme ist. [...] Corner Boys ist ein äußerst lebendiges Buch, sehr lebensnah, sehr intensiv, selten drastisch, aber trotzdem immer punktgenau. Das Buch ist spannend wie ein Krimi und wirkt dabei sehr authentisch. Für mich eine große Entdeckung und eines der besten Bücher des Frühjahrs 2000.
- Radio Free FM -

 

Fast alle irischen Autoren schreiben irgendwann ein Buch über den blutigen Unabhängigkeitskampf ihres Landes, zumeist jedoch aus der Perspektive der katholischen Minderheit, wie beispielsweise der witzig-freche Belfast-Roman Eureka Street von Robert McLiam Wilson, das düster-poetische Im Dunkeln lesen von Seamus Deane oder Roddy Doyles momentan aktuelles, historisches Werk Henry der Held. Beatties Verdienst ist es, dieser eindrücklichen Sammlung eine treffende Skizze der protestantischen Arbeiterschaft beigefügt zu haben.
- Der Landbote, Winterthur -

 

Während eine am Slang orientierte Sprache auf dem Papier oft nur hölzern und ermüdend wirkt, gelingt in Corner Boys sogar der Übersetzung noch eine flüssige und glaubwürdige Diktion.
- Klenkes Stadtmagazin, Aachen -

 

Genau schildert Beattie die Ausweglosigkeit [...] In einem jugendlichen Slang, der sogar noch in der Übersetzung hörbar ist, gibt James seine Beobachtungen der Menschen und ihrer verhaltensweisen wieder.
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Radio Darmstadt RADAR -