John Banville, Die
See, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006; John Banville, 1945 geboren, ist der wohl bekannteste
zeitgenössische Autor Irlands. Sein mit dem Man Booker Prize
2005 ausgezeichneter Roman hat das Glück, in Christa Schuenke
eine der besten Übersetzerinnen aus der angelsächsischen
Sprache gefunden zu haben, deren Shakespeare-Adaptionen einer Neuentdeckung
gleichkamen. Die Intensität von Banvilles Prosa nistet in den
kleinsten Einheiten seiner Sprache, und sie offenbart sich am schönsten
im Text des englischen Originals. Christa Schuenke hat ihre schwierige
Übersetzungs-Aufgabe gut gemeistert, und so erschließt
sich deutschen Lesern gleich auf der ersten seite des Romans, wie
virtuos Banville auf engstem Raum mit seinem Material spielt: aus
den Alliterationen und Konsonanzen des englischen "bowl of water
bulging like a blister, lead-blue and malignently agleam" wird
hier eine "Schale voll blasenartig sich blähenden, bleiblauen,
böse glitzernden Wassers". Das ist das Kunstvolle, Bewegende, Intelligente am neuen
Roman des 1945 geborenen, in Dublin lebenden Iren John Banville, der
bereits mit etlichen Übersetzungen (zumeist, wie auch jetzt wiederum,
wortgenau von Christa Schuenke) auch im deutschen Sprachraum bekannt
geworden ist: dass er sich völlig in die Gedanken- und Gefühlswelt
des melancholischen Einzelgängers Max hineinversetzt und die
Leserschaft erleben, mitempfinden lässt, wie Erinnerungen unvermittelt
und ungesteuert auftauchen, ausgelöst vielleicht durch einen
Ausblick am Strand; dann werden sie verdrängt durch andere, wie
denn überhaupt in dem Manne eigentlich alles noch da ist in schweifender
Gleichzeitigkeit, die bedrängende Körperlichkeit der Mrs.
Grace, die Capricen Chloes, die Misere Annas, die ungestillte und
unstillbare Sehnsucht nach Geborgenheit und Daheimsein in dieser Zeit
der Leere, die Max vergeblich mit Alkohol zu füllen versucht. Die See von John Banville ist ein Roman über existenzielle
Themen, der mit einem Minimum an äußerer Handlung auskommt
und einen eindringlichen Rhythmus findet für den mäandernden
Erinnerungs- und Gedankenfluss seiner Hauptfigur. (...) so gelingt
Banville (...) ein Text von beeindruckender Dichte und großer
Sprachkraft, eine wortmächtige Paraphrase dessen, was sein Held
Max Morden "ein bedeutungsschweres Nichts" nennt, ein "gleichgültiges
Achselzucken der großen Welt". They departed, the gods, on the day of the strange tide.
Man merkt mit dem ersten Satz, den man laut lesen muß, daß
es hier jemand ernst meint mit der Sprache und der Musik. Jeder Satz
dieses Buches ist klanglich und rhythmisch durchgeformt, wovon die
fast schlackenlose Übersetzung Christa Schuenkes immerhin einen
Eindruck vermitteln kann. Banville ist berühmt für die Fülle
seiner Bilder und Details: die Wellen, die eifrig herangetrappelt
kommen, um gleich wieder den Rückzug anzutreten wie eine Schar
von zwar neugierigen, aber dabei auch furchtsamen Mäusen; der
Wind über dem Meer, der die Wasseroberfläche in scharf gezackte,
metallisch blitzende Splitter zerfetzt; der abkühlende Motor,
der mißbilligend mit der Zunge schnalzt. Seine Prosa ist auf
der Molekularebene ebenso meisterhaft wie als große Form. Meisterhaft
sind das Spiel der Assonanzen und die Kunst des Beiworts (man lese,
wie er die Augen von Teddybären beschreibt); meisterhaft ist
das wellenartige Gleiten zwischen vier oder fünf Zeitschichten,
die durch den medusenhaften Erzähler strömen; meisterhaft
ist das Plot-Mobile von japanischer Anmut und Raffinesse. Im Übrigen absolut tonfallsicher ins Deutsche übersetzt
von Christa Schuenke! Um zu benennen, wie hoch die Flut steigt, nimmt er als
Maßstab einen vor Urzeiten gestrandeten Frachter: Der "glaubte
wohl gar, es wäre ihm vergönnt noch einmal auszulaufen".
Und so genarrt dieser Frachter ist, so genervt schießen die
Vögel schnabelvoran ins Wasser. Die Nervenbelastung verdeutlicht
der irische Autor John Banville (sehr gut übertragen von Christa
Schuenke) durch die Häufung von verbiestert blubbernden B´s
in dem "blasenartig sich blähenden, bleiblauen" Bösen
des glitzernden Wassers. (im Original: "vast bowl of water bulging
like alabaster".) Ganz neu klingt hier etwas, das doch schon
so oft dargestellt wurde: die Gleichgültigkeit des Meeres gegenüber
den Erregungen der Menschen. Dieses Meer, das unsere Spuren nicht
aufbewahrt, so groß das Schiff auch sein mag, mit dem wir auf
ihm herumpflügen! Lange habe ich nicht mehr ein Buch gelesen von solch
sprachlicher Genauigkeit, so geprägt von der (durchaus lustvollen)
Suche nach dem richtigen Ausdruck, Die Suche nach der Wahrheit überwältigt schließlich
auch den Leser. Das liegt vor allem am herrlichen Ton, der selbst
nach dem Lesen noch nachklingt und den Christa Schuenke eindrucksvoll
ins Deutsche übertragen hat. Der Verzehr aber wird sehr empfohlen mit zwei Hinweisen:
Erstens erfolgt er auf eigene Gefahr. Zweitens ist es einerlei, ob
man zur englischen oder zur deutschen Ausgabe greift. Die Übersetzerin
Christa Schuenke erweist sich als Meisterin ihrer Zunft. Hier spürt man natürlich, welche schwere Aufgabe
die erfahrene Übersetzerin Christa Schuenke zu lösen hatte.
Das geht nicht ohne Manierismen ab, wenn man für die ihrerseits
schon manieristischen poetischen Volten Banvilles Entsprechungen sucht.
So knirscht die Klaviertastatur im alten Golf-Hotel unangenehm in
den Ohren, wenn sie als "zahnlückenklaffende Tastengrimasse"
(the gapped grimace of its keys) beschrieben wird. Das meiste gelingt
Christa Schuenke allerdings mit leichter Hand. An ihr liegt es keineswegs,
wenn man gelegentlich zu viel Künstlichkeit im Kunstwerk zu bemerken
meint. "Die See" ist eines von John Banvilles schönsten
Büchern, sein stilles, gänzlich unprätentiöses
und von wenig äusserer Handlung beschwertes Meisterwerk, in dem
es dem Autor aufs Überzeugendste gelingt, die motivischen Strömungen
früherer Bücher in den unaufhaltsamen, letztlich nur von
den wechselnden Gezeiten der Erinnerung bewegten Fluss seiner Erzählung
aufzunehmen. Banville verdichtet die Atmosphäre des Romans dabei
mitunter so stark, dass er "die Membran des blossen Bewusstseins"
zu durchstossen scheint und Mordens grandiosen Monolog in einen anderen
Zustand überführt. "Einen Zustand, der keinen Namen
hat, in dem keine normalen Gesetze gelten, wo die Zeit ganz anders
geht", so Morden, in dessen Worten sich Sehnsucht nach völliger
Auslöschung und einer endgültigen triumphalen Realisierung
seiner selbst ebenso manifestiert wie das Ideal von Banvilles grosser
Literatur: "wo ich weder am Leben noch das andere bin und doch
lebhafter gegenwärtig, als ich es jemals hätte sein können
in der, wie wir es, weil wir müssen, nennen, in der wirklichen
Welt." Banville überzeugt einmal mehr durch Sprache und
Stil. Max Morden besucht den Ort in dem er als Kind glückliche
Ferientage verbracht hat, um den Tod seiner Frau zu verarbeiten. Man
hört die See förmlich reden. Banvilles mit kleinem Pinsel malende Sprache zaubert
aus der zurückgeholten Zeit akribische Tableaus und wunderbare
Detailansichten. Da kann eine weibliche Achselhöhle, die sich
überm heruntergekurbelten Autofenster im Fahrtwind wie ein kleines
Tier räkelt, zur schweißtreibenden Sensation werden. Der
Beinausschnitt eines Badeanzugs am üppigen Körper der Mutter,
das hart konturierte Rückgrat der Tochter, ihre blonden Härchen
auf den Schienenbeinen, ein Kuss im Kino, eine absichtsvolle Pose
am Strand. So wie die Zeiten und die Grenzen der Figuren verschwimmen,
ist jede Kleinigkeit immer schon ausgerichtet auf ein Sein zwischen
Wachen und Traum. Max nennt es einmal einen "anderen Zustand".
Es ist der zutiefst künstlerische Wunsch, ausgedrückt, gesagt
zu werden, nicht mehr Fleisch zu sein, sondern "verwandelt in
den zarten Stoff des Geistes". Diese Verwandlung gelingt John
Banville mit seinen weit ausgreifenden Sätzen ein ums andere
Mal. Wie die Wellen des Meeres machen sie eine Bewegung spürbar,
die kraftvoll und zart zugleich ist, eine Bewegung, die anschwillt
und in der sich Leben und Tod ganz nahe sind. Vor allem anderen bedeutet "Die See" zu lesen
den Genuss einer erlesenen Sprache: "Ein weißer Seevogel",
berichtet der Erzähler von einem Besuch am Meer, "grell
leuchtend vor der Wolkenwand, flog auf mit Sichelschwingen, wendete
mit lautlosem Flügelschlag und stürzte sich, zu einem V
sich schließend, ins ungestüme Schwarz der See." Das
ist, in all seiner von Unheil kündenden Symbolik, betörend
schön. Sehr geehrte Frau Schuenke, Es grüßt Sie sehr herzlich Thomas Reschke
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