literarische Übersetzerin Englisch-Deutsch

     
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Was unter anderem so geredet wurde, als ich am 18.11.1997 in Biberach/Riss den Wieland-Preis bekam


Rede des Bundespräsidenten Roman Herzog >

Grußwort von Rosemarie Tietze,
Präsidentin des Freundeskreises zur internationalen Förderung
literarischer und wissenschaftlicher Übersetzungen e.V >

Laudatio von Fritz Senn,
Direktor der Zurich James Joyce Foundation >

Dankrede der Preisträgerin >
 
 
 
 

Bundespräsident Roman Herzog

Rede des Bundespräsidenten

Meine Damen und Herren,

ich freue mich, daß ich heute bei Ihnen bin. Aus mehreren Gründen bin ich gerne mit Übersetzern zusammen: Zum einen gibt es wenig intellektuelle Arbeit, die mir mehr Achtung abverlangt als das literarische Übersetzen. Texte sind ja mehr als die Addition von Wörtern. Hinter jedem stehen eine ganze Kultur, eine ganze Geschichte, die gesamten Erfahrungen einer Sprachgemeinschaft. Zum anderen aber möchte ich meine Bekanntheit als Bundespräsident einsetzen, um für einen in der Öffentlichkeit immer noch zu wenig beachteten Berufsstand Werbung zu machen. Sie haben es verdient.
Als ich vor einigen Monaten im Europäischen Übersetzerkolleg in Straelen war, lernte ich, mir ein noch besseres Bild von Ihrem Beruf zu machen. Ich war und bin beeindruckt von dem Engagement, das Sie für Ihre Sache zeigen - und ich bin noch mehr davon beeindruckt, wenn ich mir die Schwierigkeiten, ja die Entbehrungen vor Augen halte, die Sie auf sich nehmen.
Übersetzen hat viele Motive: beispielsweise die Neugier, die Leidenschaft für das Fremde und die Herausforderung, das eigentlich Unmögliche möglich zu machen. Im Innersten aber liegt dem Übersetzen auch so etwas wie ein moralischer Impuls zugrunde: Man möchte sich das Fremde vertraut machen. Man will das Fremde verstehen können.
Die Grundfrage allen Übersetzens - die Frage, die sich jeder stellt, der diesem entsagungsvollen Beruf nachgeht - ist wohl: Können wir einander verstehen? Jede Art von Übersetzer-Arbeit ist der Versuch, diese Frage mit Ja zu beantworten. Damit wird zugleich die doppelte Bedeutung des Wortes "Übersetzung" klar: Übersetzen ist einerseits ein Handwerk, und zwar ein schwieriges, das langer Übung bedarf; andererseits antwortet es aber auf eine intellektuelle und ethische Herausforderung. Wer übersetzt, leistet Verständigungsarbeit. Das ist die humane Botschaft des Übersetzerberufs: Nichts, kein Gedanke, keine Grammatik, keine Tradition, keine Erfahrung, in welcher Sprache auch immer sie sich ausdrücken, muß uns letztlich fremd bleiben.
Daß man mit einem der wichtigsten Berufe, die unser Geistesleben kennt, seinen Lebensunterhalt in der Regel nicht bestreiten kann, ist im Grunde skandalös. Die prekäre finanzielle Situation, in der die allermeisten von Ihnen leben, kann einen nur traurig stimmen. Wahrscheinlich gibt es im gesamten kulturellen Leben kaum einen Beruf, der sich so unterbezahlt vorkommen muß. Sie wissen und akzeptieren wohl auch, daß ich Ihnen dabei nicht direkt helfen kann. Es ist aber meine Absicht, sowohl durch meinen Besuch damals in Straelen als auch durch meine Anwesenheit heute, die große und wichtige kulturelle Leistung der Übersetzer ins Licht der Öffentlichkeit zu setzen - und den unzureichenden Lohn, den Sie dafür bekommen. Hier stehen das Verdienst und der "Verdienst", den Sie dafür erhalten, in keinem gerechten Verhältnis zueinander.
Umso mehr freue ich mich, daß es wenigstens einige Anzeichen einer leichten Besserung gibt. Ich denke hier natürlich an die gerade bekanntgegebene Gründung des Deutschen Übersetzerfonds. Immerhin gibt es dadurch eine kompetente Stelle, durch die gezielt Projekte gefördert oder geleistete Arbeiten prämiiert werden können. Außerdem hoffe ich, daß durch seine Gründung auch ein Stück öffentliche Wirksamkeit erzielt wird.
Niemand ist heute für den so dringend erforderlichen interkulturellen Dialog geeigneter als jemand, der es gelernt hat, in anderen Sprachen zuhause zu sein. (Dazu gehören übrigens auch die fälschlicherweise so genannten "toten" Sprachen.) Interkultureller Dialog bedeutet ja nicht, sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen oder, um bei unserem Thema zu bleiben, sich auf eine möglichst einfache lingua franca zu einigen. Mehr denn je müssen wir uns alle in anderen Sprachen bewegen.
Da wir das selber nicht für jede Sprache leisten können, sind wir auf gute und verläßliche Übersetzer angewiesen. Inzwischen werden auf dem deutschen Buchmarkt allein in der Belletristik zur Hälfte Bücher aufgelegt, die aus anderen Sprachen übersetzt sind. Schlechte Übersetzungen sollten wir uns dabei nicht leisten, jedenfalls nicht auf Dauer. Damit wird nicht nur dem fremden Text Unrecht getan und der Autor gleichsam verraten. Auch unsere eigene Sprache wird dadurch auf die Dauer verdorben.
Umso mehr ist die beharrliche, gewissenhafte Arbeit der guten und genauen Übersetzer zu loben. Dabei ist das Paradox unvermeidlich, daß Ihre Arbeit, je besser sie ist, umso weniger auffällt. Deswegen ist es gut, daß es Preise wie den Wieland-Übersetzerpreis gibt, die ausdrücklich auf exzellente Leistungen und möglicherweise verborgene Meisterwerke aufmerksam machen.
Der besondere Reiz dieses Preises, der ja für die Übersetzung eines klassischen Werkes verliehen wird, besteht darin, daß gleichsam eine doppelte Übersetzung ausgezeichnet wird. Hier wird nicht nur eine andere Kultur in unsere eigene Sprache übersetzt, sondern auch eine andere Zeit ins Heute geholt.
Ich freue mich, daß mit dem Werk von Frau Schuenke heute eine Übersetzung aus dem Werk Shakespeares gewürdigt wird. Damit wird an die große Tradition der deutschen Shakespeare-Übersetzungen erinnert, auf die wir alle sehr stolz sein können. Ich gratuliere Ihnen, Frau Schuenke, herzlich zu diesem Preis.
Zu solchen Preisen gehört es auch, daß sie angemessen dotiert sind. Deswegen danke ich dem Land Baden-Württemberg, daß es, trotz der bekannten Lage der öffentlichen Finanzen, die Preissumme aufgestockt hat. Das ist zwar ein kleines, aber wichtiges Zeichen.
Ich habe oben kurz angedeutet, wie sehr durch schlechte Übersetzungen auch die eigene Sprache lädiert werden kann. Wie andererseits durch eine gute Übersetzung die eigene Sprache bereichert wird, zeigt für uns in Deutschland bis heute das klassische Beispiel der Bibelübersetzung Martin Luthers. Er hat uns in seinem "Sendbrief vom Dolmetschen" auch sein Erfolgsgeheimnis hinterlassen: "Denn man muß nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprachen fragen, wie man soll Deutsch reden, wie diese Esel tun, sondern man muß die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den gemeinen Mann auf dem Markt darum fragen und denselbigen aufs Maul sehen, wie sie reden, und danach dolmetschen. So verstehen sie es denn und merken, daß man Deutsch mit ihnen redet."
Beides ist also wichtig: Radikale Selbstvergessenheit - um ganz in das andere Denken eintauchen zu können - und radikales Selbstbewußtsein - um der eigenen Sprache das Andere ganz anverwandeln zu können.
Am Ende der Arbeit, als Ergebnis oft mühevollen Versuchens, als Summe großen Fleißes in vielen einsamen Stunden, steht eine Botschaft von großer menschlicher Bedeutung - eine Botschaft, an der Sie, die Übersetzer, tagtäglich arbeiten: Wir Menschen können einander verstehen. Über alle Grenzen, auch über alle Zeiten hinweg.
Für diese Arbeit danke ich Ihnen allen.

 

 

 

 

   
     
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Rosemarie Tietze

Für einen Deutschen Übersetzerfonds - Grußwort

Wieland zum Beispiel: er war Dichter, Übersetzer, Zeitschriftenredakteur. Aber auch Hauslehrer, städtischer Kanzleiverwalter (wie man hier in Biberach sich erinnert), Philosophieprofessor, Prinzenerzieher, Pensionist.
Aus heutiger Übersetzersicht - und diesen Vergleich, der wegen der unvergleichbaren Größenverhältnisse eigentlich unstatthaft ist, werden Sie mir, dank Christa Schuenke und dem Ort, an dem wir uns befinden, ausnahmsweise gestatten - aus heutiger Übersetzersicht ist eine Lebenssituation, wie ich sie gerade für Wieland umrissen habe, sofort verständlich. "Klar, Mischkalkulation!" Denn das Prinzip hat sich nicht geändert. Auch wir leben von Brotarbeiten oder sonstigen Einkünften, oder vom Ehepartner, und oftmals sind diese privaten "Subventionen", die wir der Literatur angedeihen lassen, höher als die "Honorare", die wir von den Verlagen erhalten.
Wir können uns gut vorstellen, daß man, geniale Sprachkraft vorausgesetzt, wenn man um die dreißig ist, keine Familie hat, der Kanzleidienst sich vormittags erledigen läßt, wenn man außerdem so ein begnadeter Workaholic ist wie Wieland - daß man dann den Shakespeare in der Freizeit übersetzt. Aber in vorgerücktem Alter? Mit Hausstand, zahllosen Kindern?
Daß Wieland der deutschen Literatur seinen Horaz, seinen Lukian und seinen Cicero bescheren konnte, verdankt die deutsche Literatur auch der Weimarer Herzogin Anna Amalia, die dem Vierzigjährigen, nach nur dreijähriger Tätigkeit als Prinzenerzieher, lebenslang eine Pension gewährte.
Der heutige Übersetzer wird - selbst wenn er, nach Wielands Vorbild, mit Streitbarkeit und Verhandlungsgeschick gegenüber Verlagen auftritt, selbst wenn die Honorare spürbar erhöht würden und jeder Übersetzervertrag endlich eine urhebergerechte Erfolgsbeteiligung vorsehen sollte (und dieses Ceterum censeo muß ich auch heute loswerden) - der heutige Übersetzer wird, da auch dann seine Probleme noch nicht gelöst wären, sich natürlich fragen: Wie sähe sie wohl aus, die Pension der Anna Amalia, übersetzt ins republikanische Zeitalter?
Die Lösung wäre - Sie ahnen es bereits - ein überregionaler Fonds, der keine Dauerunterstützung vergibt, so weit gehen wir gar nicht, aber durch gewichtige Stipendien oder Preise Literaturübersetzer eine Zeitlang absichert, damit sie sich in Ruhe auf ihre Arbeit konzentrieren können.
Nun wird den Übersetzern heute durchaus mehr Beachtung geschenkt als noch vor zwanzig Jahren, und wir könnten nicht zum Sprung auf die neue Förderung ansetzen, gäbe es nicht bereits Initiativen, vor allem auf regionaler Ebene.
Schon zum zweiten Mal richtet Biberach mit großem Einsatz die Verleihung des Wieland-Übersetzerpreises aus, wofür wir der Stadt, Herrn Oberbürgermeister Fettback und dem Kulturdezernenten, Herrn Biege, herzlich danken.
Finanziert wird der Wielandpreis vom Land Baden-Württemberg, und wenn ich jetzt Herrn Staatssekretär Palmer dafür, in Worten, ein symbolisches Dankesblümchen überreiche, müßte ich es im Grunde zu einem veritablen Blumenstrauß vervielfachen: Nicht nur, daß das Land die Preissumme auf DM 20.000 erhöht hat; Baden-Württemberg war auch, das wollen wir nicht vergessen, das erste Bundesland, das seinen Literaturübersetzern Reisebeihilfen gewährte (schon Ende der 70er Jahre) und damit den Fördergedanken erstmals Realität werden ließ.
Herr Bundespräsident, ohne Ihr Engagement für die Übersetzer, zunächst in Ihrer Rede vom letztjährigen Sommer, als Sie vor Verlegern die Defizite der Honorierung benannten, dann beim Besuch im Europäischen Übersetzer-Kollegium, wo Sie uns nach unserer Arbeit und unseren Nöten befragten, schließlich mit Ihrer Zusage, bei der Feier hier in Biberach zu sprechen - ohne diese vielfältigen Ermutigungen hätten wir uns kaum so weit vorgewagt, wie wir es getan haben. Sie können sicher sein, daß in den Gesprächen der letzten Monate, wo immer Literaturübersetzer zusammentrafen, Ihnen die anmutigsten Dankesgirlanden gewunden wurden, und diese Dankesgirlanden überreiche ich Ihnen hiermit im Namen aller Übersetzer!
Aber - wohin haben wir uns denn vorgewagt?
Mein Grußwort trägt den Titel "Für einen Deutschen Übersetzerfonds". Der unbestimmte Artikel ist dabei nicht ganz korrekt - eine Finte, der Überraschung wegen. Es haben nämlich bereits übersetzungskompetente Institutionen zusammengefunden, haben eine Satzung beschlossen, somit - juristisch - das Gefäß für die neue Übersetzerförderung geschaffen, und mag der Topf auch vorerst keinen roten Heller enthalten, doch immerhin, wir haben einen Topf, und ich darf heute, anläßlich des Besuchs von Bundespräsident Herzog bei der Verleihung des Wielandpreises, bekanntgeben, und zwar mit bestimmtem Artikel: Der Deutsche Übersetzerfonds ist gegründet!
Wenn wir nun den Deckel aufhalten, den leeren Topf in Richtung öffentliche Hand schieben und aufmunternd, anklagend, begehrlich und vor allem erwartungsfroh nach Bonn und Berlin schauen, hoffen wir nicht nur, einigen Profis unserer Zunft das weitere Schaffen zu ermöglichen. Uns treibt auch eine Vision. Wer wüßte besser als wir, daß die Qualität der Übersetzungen, unter dem Druck der Verhältnisse, oft zu wünschen übrig läßt.
Unsere Vision ist der mündige Literaturübersetzer mit dem aufrechten Gang, der sich in der fremden Sprache und Kultur fast so frei bewegt wie in der eigenen. Der sein Urheberrecht ernst nimmt und Texte mit Stilgefühl und Kunstverstand zu gestalten weiß. Der seinen Ausdrucksreichtum unablässig zu mehren, sein Gehör zu verfeinern sucht. Der seine Berufsehre dareinsetzt, Anwalt des Fremden zu sein, ohne die allgegenwärtige Sprachverhunzung der Muttersprache mitzumachen, der vielmehr, und nicht nur bei Hochliterarischem, die wachsende Flut des Sprachmülls eindämmt und ihr - selbstbewußt - seine Ökologie des WORTES entgegenhält.
Übersetzen, so verstanden, ist, noch vor aller Sprachkunst, ein Wandern zwischen den Welten und Kulturen - langwierig, mühselig, mit vielen Ab- und Umwegen, ist ein ständiges Abwägen und Entscheiden zwischen Nähe und Ferne, zwischen dem Vertrauten und dem Anderen, bis diese Grenzgänge schließlich zu etwas Neuem führen, etwas Drittem.
Eine Förderung des Literaturübersetzens wäre somit nicht nur Literaturförderung und nicht nur Sprachpflege, auch wenn diese beiden Ziele schon für sich genug Gewicht hätten.
Übersetzen, so verstanden und weitergedacht, könnte zu einer Hohen Schule des Umgangs mit dem Fremden werden, zu einem Modell kulturellen Verhaltens, das in die Zukunft weist.
 

 

 

 

       
   
     
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FRITZ SENN

Der Gleichwohligkeitseffekt

Laudatio: Christa Schuenke (Wieland-Preis)

Es gibt schöne Rituale. Unseres ist eines davon. Es braucht einen Festredner, der die festliche Gemeinde allmählich auf den Höhepunkt einstimmt. So stehe ich, etwas befangen, auf einem ungewohnten Parkett, als erfahrener Besserwisser und Schlechterkönner auf dem Feld der Übersetzung, um mit gepflegter Brillanz gepflegte Weisheiten neu aufzutragen und zu begründen, warum wir heute Christa Schuenke für eine Neuübertragung der Sonette Shakespeares den Wieland-Preis zusprechen und in der Tat auch überreichen werden. Ich will mich nach besten Kräften so gebärden, als könnte ich einem der ältesten Berufe dieser vielsprachigen Erde neue Gesichtspunkte abgewinnen und als käme ich dem Geheimnis des Gelingens unserer gefeierten Übersetzung auf die Spur.
Die Tücke des Unternehmens Übersetzen (dies im engeren, sprachlichen, Sinn) ermißt sich schon daran, daß wir den Vorgang nicht genau bestimmen, sondern nur verbildlichen oder vergleichen können. Den Vergleichen gemeinsam bleibt, daß sie veranschaulichen, aber allesamt zu kurz greifen.
Zunächst ist der Begriff "Übersetzen" ("übersetzen / tra-ducere / meta-pherein") selber eine Metapher: Sie reduziert die Aufgabe auf eine Ortsverschiebung, einen Transport unter meist ungünstigen Umständen, etwa über einen Fluß. Das täuscht vor, als ginge es lediglich um eine Art erschwerten Postzustelldienstes. Beim Übersetzen und Hinbringen bleiben die Inhalte unverändert. Beim Übersetzen vorerst einmal gar keiner. Das Paradoxe zeigt sich am besten daran, daß in einer Übersetzung alles anders wird und dennoch alles gleich bleiben sollte.
Weiterhin nehmen wir Zuflucht zu geometrischen Verdeutlichungen, wenn es etwa darum gehen soll, möglichst "nahe an einen Text zu kommen". Aber Übersetzen ist kein Bocciaspiel; es gibt nie einen einzigen genau zu erreichenden Punkt, sondern immer eine Verstrickung von Bezügen und Schattierungen, die kaum alle auf Anhieb zu erkennen sind.
Rein quantitativ gehen wir vor, wenn wir von Verlusten oder unvermeidlichen Abstrichen reden. Der Erfolg läßt sich nicht in Prozentzahlen wiedergeben, es gibt keine eindimensionale Erfolgsquote.
Die moderne Elektronik, die ihrerseits großen Bedarf an Veranschaulichungen hat, bietet uns eine Vorstellung an, die auf Literatur so anwendbar ist wie deren Übersetzung – Hypertext. Damit ist eine vielfache Verknüpfbarkeit gemeint, die es erlaubt, vom immer linearen Verlauf des sprachlichen Hintereinander abzuweichen und zu verwandten Themen hinüberzuwechseln. Übersetzer wissen, wovon die Rede ist, vom Verzicht auf Nebentöne, Assoziationen, kulturelle Resonanzen. Literarische Texte sind buchstäblich hyper, überaktiv, aufgedreht, auf Hochspannung: sie weisen mehr Verbindungen, Querverweise, Anklänge, Erinnerungen, Bedeutungen und Deutungen auf, als andere, "gewöhnliche". Die so genannten "Wortspiele", die mehrere Bedeutungen zusammendrängen – und denen wir irttümlicherweise Ausnahmestatus zuweisen –, zeigen es am offenkundigsten, oft unübersehbar. Literarische Hypertexte geben sich her zur fruchtbaren Vertiefung und schaffen akademische Arbeitsplätze. Die übersetzen können nicht ganz so viele, nie ganz dieselben passenden Assoziationen abrufen, Übersetzungen sind naturgemäß weniger hyper und schon daher Anlaß billiger, unerfüllbarer Forderungen.
Die Metaphern und Vergleiche treffen schon deshalb nicht zu, weil Vergleiche selber Übersetzungen sind, Übersetzungen komplexer Sachverhalte in trügerische Anschaulichkeit, die immer etwas ausläßt und Störendes mit sich führt. Umgekehrt sind, im Grunde – doch mit dem großspurig tiefschürfenden "im Grunde" wird nur weitere hinkende Metaphorik eingespannt –, Übersetzungen ihrerseits Vergleiche: Hier ist ein Text, etwas sprachlich Gewobenes, und dort vergleichbar, dessen Umsetzung.
Mit dem eigentlichen Vergleichen befaßt sich eine Wissenschaft oder (selten genug mit dem notwendigen Verständnis) eine Kritik, oder jeder von uns im Zeitvertreib. Sprachliche Übertragungen sollen Gleichsetzungen werden, doch es gesellt sich die Vorsilbe ver- dazu, die je nachdem bestimmt eine Verschiebung, qualitativ eine Verbesserung, neutral eine Veränderung, leider abträglich auch ein Versehen, ein Vergreifen, also eine Fehlleistung, mit sich bringen kann. Übersetzungen sind gleich mit ihrem Ausgang, aber ein wenig ver-: daneben, verzogen.
Zum Glück sind diese Verlegungen nicht durchweg Mängel, sondern können zu kreativen Zugaben ausarten. Die deutsche Sprache etwa verdankt Luthers schöpferischen Veränderungen aus dem Hebräischen recht viel. Es entstanden deutsche Shakespeare-Stücke und mindestens ein deutscher Homer, und nun, weswegen wir hier zusammensitzen, neue deutsche, lebendige Shakespeare-Sonette.
Die geschilderten Rahmenbedingungen erleichtern mein Geständnis, daß ich als bekennender Skeptiker – vielleicht aus konstitutionellen, jedenfalls subjektiven Gründen – nicht an die Möglichkeit glaube, daß Literatur, Dichtung in allen ihren Sinnen, und mit allen unsrigen, ideal, d.h. in allen potentiellen Schattierungen, zu übersetzen ist. Vielleicht sage ich hier nur, daß mich immer gerade das angezogen hat, was sich der kulturellen Umwandlung entzieht.
Wenn Übersetzen möglich wäre, brauchten wir dafür wohl keine Preise.
Diese platte Einsicht ist weder neu noch besonders einsichtig. Zudem ist sie eingebettet in einen umfassenden Zusammenhang, ins allgemein Menschliche. Der Mensch ist das denkende, verkündende, empfangende, lesende, verstehen-wollende, deutende – und damit das übersetzende Wesen: es übersetzt von Gedanken zum Ausdruck, vom Laut zum Sinn, von Buchstaben zu Bedeutungen, von Einsichten zu Tagen. Jeder geistige Vorgang setzt um. Auch alle diese Umsetzungen gelingen nie ganz, wenn denn überhaupt; nichts kommt genau so an, wie es in die Welt gesetzt worden ist, was mindestens teilweise den Zustand eben dieser Welt erklärt.
Im engeren Sinn der sprachlichen Übersetzbarkeit gilt selbstverständlich wiederum das Gegenteil, daß in der Tat das Geschriebene übersetzt wird, und dies mit dem Erfolg, den wir auch Kultur nennen. Denn alle sprachliche Kultur beruht auch auf Übersetzungen, die ihrem Wesen nach nie vollkommen sind, aber ausgleichend dafür über den Ursprung hinaus anderes hervorbringen: Falsches, Unvollständiges, Angepaßtes, Unvorhergesehenes, Neuerungen.
Schließlich beruht auch die Sprache, in der wir uns gerade unterhalten, letztlich auf phonetischen Fehlleistungen indogermanischer Stämme und ihrer Nachkommen. Wo, mit anderen Worten, wären wir, ohne die falschen Übersetzungen, die uns geprägt haben?
Übersetzungen von Sprache zu Sprache sind Sonderfälle. Weiterhin ist noch jede Übersetzung immer noch besser als gar nichts, die oft einzige praktische Alternative.
Bisher ist die Ausgangslage recht negativ dargestellt worden, wenn auch mit etwas hohlem Trost verbrämt. Einige von uns kennen die kollegialen Treffen, wo wir uns an ganz besonders vertrackten Problemen inspiriert hochschaukeln und dann am Ende doch resigniert bekennen: "es geht halt nicht", oder uns auf einen Notbehelf zurückziehen.
Dann aber geschieht mitunter ein Wunder. Gegen alle Wahrscheinlichkeit, ergibt sich hin und wieder, daß "es" (was immer es ist, das unmöglich Scheinende), doch geht. D.h. es ergibt sich natürlich nicht, sondern ein suchender, findiger Geist muß erst darauf stoßen, auf welche oft unerforschliche Weise auch immer. Meine Artikulationsversuche sind somit eine Lobrede auf diesen findigen Geist, der zufälligerweise meist auch ein sehr fleißiger, ausdauernder, besessener ist.
Es gelingt also, immer wieder, doch. "Doch" ist ein starkes, trotziges, oft mißbrauchtes, tröstendes Wort, übrigens seinerseits oft kaum zu übersetzen. Übersetzung ist eben doch, zwar nicht immer, möglich, sie ist es gleichwohl. Eben diese Gleichwohligkeit ist die Rechtfertigung einer so wichtigen und mit soviel Selbsverleugnung gepaarten Berufung. Der Gleichwohligkeitseffekt, ein kleines Wunder, ist Ausgleich für viele Versagungen, ein Gegenmittel gegen lähmende Skepsis.
Allerdings – auf "gleichwohl" folgt ja meistens ein Einwand – ist voreilige Euphorie gleich wieder einzudämmen. Auch die gelungenste, genialste Übersetzung kann vollkommen nicht sein, sie übergeht oder eckt an. Um die Gleichwohligkeit noch etwas zu strapazieren: Auch gelungene Übertragungen sind nicht gleich wohl gelungen.
Nehmen wir an, es hätte mir jemand jetzt noch immer zugehört und würde versuchen, nun die so bezeichnete "Gleichwohligkeit" in einer anderen Sprache aufzubauen. Vermutlich ließe die Zielsprache die Zufälligkeit von "gleichwohl", doch, und "gleich wohl" (wie sie etwa eine neue Rechtschreibung zu beschäftigen wüßte), nicht zu. Was ebenfalls nicht gelänge, wäre die exakte Tonlage der aufgesetzten, gezwungenen, doch etwas matten, Pointe, denn auch die Forciertheit des nicht sonderlich originellen Originals müßte sich wiederfinden. Man könnte sich leicht vorstellen, daß eine passende Übersetzung in der Tat besser wäre als der Ausgangspunkt. Übersetzungen können in der Tag ihre Vorlagen übertreffen. Nur leider sind die Spielregeln so angelegt, daß bei der Kanonisierung des Originals auch eine Verbesserung als Abweichung zu gelten hätte und damit einen Punktabzug mit sich brächte.
Was zeichnen wir heute eigentlich aus? Ausgezeichnet wird vorerst einmal – wie ich mit einem Anflug von gut kaschiertem Neid gestehe – eine außergewöhnliche Begabung. Christa Schuenke, "sie kann es eben". Gedichte, Sonette im besonderen, scheinen ihr fast wie von selbst von der Hand zu gehen. Es ist somit nicht purer Masochismus, daß sich Frau Schuenke immer wieder an englischen Dichtern versucht, die in der ersten Reihe sitzen, etwa John Donne oder John Keats. Eine Art Affinität scheint im Spiel. De launischen, metaphorischen Musen haben mitgeholfen.
William Shakespeare befaßt sich in seinen Sonetten ausgiebig mit diesen Musen und ihren gütigen oder ausbleibenden Einflüsterungen:

So oft beschwor ich dich als Muse schon,
So schön geriet, dank dir, mir manch Sonett.

Er wußte aber auch, daß sie nicht abrufbar sind, und verläßlich schon gar nicht: eine "kranke Muse räumt das Feld", eine "zugenlahme schweigt". Es ist denkbar, daß unsere Übersetzerin beim Anruf der pflichtvergessenen oder trägen Muse, oder gar der "müßigen Muse" (die noch etwas über Shakespeares "truant muse" hinausspielt), kollegial auf ihre Tastatur geseufzt und mit Shakespeare gemahnt hat: "Versieh dein Amt!. Das Musendezernat hat sein Amt denn auch nicht vernachlässigt.
Gleichwohl! die hier rhetorisch bemühten, altbackenen Musen fügen sich nicht in den übersetzerischen Alltag. Der besteht aus Handwerk (ohne goldenen Boden). Nichts kommt von selbst. Die Sekundärtugenden Fleiß, Arbeit, Disziplin, Beharrlichkeit drängen sich konkret primär in den Vordergrund.
Über die Plackerei, die Grundlagenforschung und all das hinaus, was nicht weiter ausgeführt zu werden braucht, hat sich Christa Schuenke zusätzliche Hürden aufgebaut. Sie versagt sich, als wären der Erschwernisse nicht schon genug, z.B. notbehelfsmäßige Enjambements, also unerlaubte Ausläufe in die nächste Zeile. Sie achtet vor allem im Anklang ans englische Vorbild, darauf, möglichst starke Reime zu verwenden, also sogenannte männliche, und versucht mit möglichst wenigen schwachen, also weiblichen, auszukommen. Beim Lesen wird uns das kaum bewußt auffallen, und im Grunde kümmert uns als Konsumenten ein Reimsexismus so wenig wie metrische Selbstdisziplin. Doch eben die selbstauferlegte Disziplinierung trägt bei zu der Stimmigkeit dieser Sonette, zu deren Trittfestigkeit und Balance.
Übersetzer haben ihr Können ganz bestimmten Bedingungen zu unterwerfen. Das starre Gerüst der Sonette und deren zyklische Verkettung engen den Spielraum zusätzlich ein. Innerhalb solcher Bandbreite hat sich die Eingebung frei zu entfalten.
In vier Jahrhundertten hat sich der lyrische Grundwortschatz, wie er nicht nur von Shakespeare verwendet worden ist, durch rege Wiederverwertung spürbar abgeschliffen. Ein Recycling von "Liebe, Tod, blau, schön", sogar von "Herz" oder der eben noch aus dem Estrich hervorgeholten Musen ist nicht zu umgehen. Die altvertrauten Wörter sind einzusetzen und scheinen ohne impliziertes Augenzwinkern oder ironische Brechung kaum mehr verwendbar. Und gerade hier hat sich wiederum, gegen alle Erwartungen, der Gleichwohligkeitseffekt eingestellt, als hätte sich die Übersetzerin auf eine perverse Wette eingelassen.
Vermutlich verfährt auch sie wie alle andern, nach eigenen, strengen Richtlinien, aber gleichwohl von Fall zu Fall – von Zufall zu Einfall. Mitunter neigen die Sonette zu einer abgewogenen Annäherung an den Satzablauf. Sie gibt "How like a winter hath my absence been" als "Wie Winter kam mir unsre Trennung vor" wieder, fast selbstverständlich. So etwa, mindestens ein Eindruck, muß es heißen. (Es muß nicht.)
Manch andere Stelle entfaltet einen eigenen, analogen, Schwung, sinngemäß entsprechend, nicht wort-identisch. Wo Shakespeare den Tag, oder den Wagen des Helios, sanft niedersteigen läßt,

But when from highmost pitch with weary car,
Like feeble age he reeleth from the day

wechselt Christa Gang und Tonart:

Doch rollt vom höchsten Punkt sein Wagen nieder,
Tagauswärts polternd, klapprig und beschwert

Auf diesem Glatteis schwingt sich eine mutige Kür über die pedantische Pflicht: "rollt ... polternd" klingt nicht wie "pitch, feeble, reeleth"; der Lärmpegel ist aufgedreht, das Subjekt gleitet vom schwächlichen Lenker zum klapprigen Gefährt. Aber wie urgewaltig kommt, auf seine Weise, der Wagen daher: "Tagauswärts polternd, klapprig und beschwert". Das prägt sich ein und (als weiteres Kriterium): es klingt gewiß nicht nach Übersetzung.
Ein Motiv wird gelegentlich sinnvoll überzogen: "Music to hear, why hear’st thou music sadly?" beginnt ein Sonett. Daraus wird: "Du hörst Musik, und doch bist du verstimmt?" Im "verstimmt" wird "sadly" aufgehoben und musikalisch abgewandelt.
Beim phrasenhaften Begriff "Nachdichtung" erfaßt mich ein gewisses Unbehagen, aber er evoziert eine Qualität, die über bloßes Regelwerk hinausgeht. Unsere Sonette sind, bei feinstmöglicher Einstimmung, auf Wirkung angelegt. Der Auftrag verlangt, die Zielsprache verhindert eine identische Wirkung. Aber sie wird erzeugt, nachhaltig. Wir stoßen auf einprägsame Verdichtungen: "wie ‘n Greis, mehr wortgewandt als wahrheitstreu" darf sich durchaus sehen lassen neben "like old men, of less truth than tongue".
Es gibt gewisse Dichtungen, die im Augenblick des Lesens oder Hörens jedes einzelne Element, jedes Wort, in seiner ganzen Anmut oder Wucht zur Geltung bringen. Bei Shakespeare ist es vorausgesetzt:

What potions have I drunk of Siren tears
Distilled from limbecks foul as hell within
Applying fears to hopes, and hopes to fears,
Still losing when I saw my self to win.

Bei Übertragungen anerkennen wir es mit Staunen

Ich trank Sirenentränen ohne Zahl,
In Hexenkesseln höllenscharf gegoren,
Tat Qual auf Hoffnung, Hoffnung auf die Qual,
Und hab doch stets, wenn ich gewann, verloren.

In der elisabethanischen Ära verankert, bleiben Shakespeares Sonette zeitlos, und auf deutsch dennoch in unsere Epoche verwoben. Das mag selbst die Wortwahl erfassen. Wenn durch das Ich der Sonette Shakespeare auch selber spricht

Why is my verse so barren of new pride?
So far from variation of quick change?
Why with the time I do not glance aside
To new-found methods, and to compounds strange?

dann könnte Christa Schuenke ohne weiteres im Rahmen verharren. Sie bricht jedoch aus:

Warum fehlt meinem Vers moderner Schick,
Erfindungsreichtum, Spannung, frischer Schwung?
Was schreib ich nicht, wie jeder heut, mit Blick
Auf rare Wörter, Stilerneuerung?

Hier wäre ein erster Reflex, auch meiner, der eines Vertreters kongenialer Wörtlichkeit, der Griff nach der gelben Karte. Um in der Sportsprache zu verbleiben: hier wird volles Risiko gespielt. Gleichwohl – oder gerade deshalb: die zeitgemäße Versetzung paßt, wenngleich Einspruch denkbar ist (wie immer bei diesem Beruf). Wenn sich hier Shakespeare, ein wenig kokett, nebenher zu seinen Gedichten selber äußert und seine Leserinnen anspricht (vielleicht noch ein paar Hiebe an Zeitgenossen austeilt), darf sich die Übersetzerin ihrerseits auf eine Metaebene begeben, ihr Tun kommentieren und das damalige "heute" zum heutigen auffrischen.
Was ebenfalls paßt, ist, daß beide Aussaagen nicht zutreffen, zum Doch doch! herausfordern: in den Sonetten finden sich "variations", "compounds strange"; aber noch mehr widerspricht sich der moderne Anflug der Fassung, die im Rahmen des Zyklus selber, eben den in Abrede gestellten "modernen Schick", "frischen Schwung" oder die "Stilerneuerung" hervorhebt. Gerade in diesem Sonett erlaubt sich Frau Schuenke sogar das neudeutsche vorangesetzte "Weil", das keinen Nebensatz einleitet. Das hat seinen Reiz und reizt vielleicht zu Widerspruch.
Ich bin immer eingetreten für die, wie ich sie nennen würde, veranstaltende Übersetzung, d. h. eine, die nicht einfach etwas hinstellt, sondern etwas in Gang setzt, Schwingungen, die nicht gleich abklingen, die vom Original abweichen und über es hinausgehen, aber mit sich übereinstimmen. So lange sie nur wirken – und klingen: It don’t mean a thing, if it ain’t got that swing. So sind manche Verse von in sich selber ruhender Eingängigkeit, was mindestens die Umschreibung einer Form von Dichtung wäre. Da schlägt viel, da hängt wenig, durch.
Die hier wiedergegebenen Erfindungen entsprechen wohl kaum den Absichten der Übersetzerin selber. Schriftsteller haben wenig Verfügungsgewalt über ihre Erzeugnisse, Übersetzerinnen noch weniger. Sie können Wirkungen steuern, aber nicht bestimmen. Doch wenn ich falsch lesen sollte, dann vermutlich lesen wir alle auch Shakespeare falsch oder verzerrt, so bin ich dankbar für den Anstoß zu solch ergiebigem Danebengreifen und Mißverstehen.
Hier ist nur zu Protokoll gegeben, wie oft die Übertragungen wie von selbst in eine gleichwertige Eigenständigkeit rutschen. Es freut mich ohne großes Erstaunen, daß die Jury ähnlichen Erfahrungen stattgegeben hat.
Beschreibungen sind bestenfalls vorläufige Ansätze, etwas schlüssig vorzuführen, was sich der Charakterisierung entzieht. Übersetzungswissenschaftler haben genauere Werkzeuge und Kategorien. Sie bezeichnen Translate als "äquivalent" oder "adäquat" und wissen genau, wovon sie reden. Ist nun ein "Greis mehr wortgewandt als wahrheitstreu" eine adäquate Wiedergabe von "old men of less truth than tongue"? Unbedingt, ja, wie gezeigt werden sollte. Aber dann, bei der Vielzahl möglicher Betrachtungsweisen, auch wieder nicht. Findet "Like feeble age he reeleth from the day" seine Äquivalenz in "Tagauswärts polternd, klapprig und beschwert"? Sind die beiden Fassungen gleichwertig, gleicherweise gültig, oder entzieht sich ihr Wert unserer präzisen Wertung?
Zum Glück brauchen wir uns, wenn wir nicht gerade eine Preisrede halten, mit Klassifizierungen nicht abzugeben, sondern mit dem Ergebnis, einem Glücksfall. Eine Qualität der Übersetzung ist daran zu messen, wie sie die unvermeidliche Andersartigkeit zu einem Vorteil ummünzt.
Fast wie von selber klingt meine Aufräumung für den festlichen Akt aus in ein Zitat, worin Shakespeare das Thema zusammenfaßt, das auch seine Übersetzerin in Beschlag nahm:

Den alten Wörtern leih ich neue Zier,
Verwende neu, was schon so oft verwandt.

Shakespeare wußte es, Christa Schuenke führt es aus, wir erleben es neu. Christoph Martin Wieland aus Biberach wußte es ebenfalls. Er wäre bestimmt zufrieden mit der diesjährigen adäquaten, gelungenen Kür.

 

 

 

 

 

   
     
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Christa Schuenke

Liebe ist nicht der Narr der Zeit
Dankrede der Preisträgerin anläßlich der Verleihung des Wieland-Übersetzerpreises

Lieber Herr Bundespräsident, meine Damen und Herren, liebe Freunde,

Narrheit ist es wohl, man könnte auch sagen Hybris, Shakespeares Sonette noch einmal ins Deutsche zu übersetzen, wo doch, als ich damit anfing, schon mehr als vierzig deutsche Gesamtübersetzungen und an die zweihundert Übertragungen einzelner Sonette oder von Teilen des Zyklus existierten, an dem so namhafte Vorgänger wie Dorothea Tieck, Stefan George, Karl Kraus, Johannes Schlaaf und Paul Celan ihre Meisterschaft erprobt und unter Beweis gestellt haben.
Doch Narrheit nicht allein, denn wie könnte so ein Vorhaben gedeihen ohne Liebe? Liebe zum Urtext und zu seinem Verfasser, Liebe zur Sprache, zum Wort schlechthin, Liebe zum Gedicht – eine Liebe, die nicht fragt, wieviel Zeit vergehen muß, bis Vorzeigbares zu Papier gebracht ist, wie wenig Lohn die Mühe in aller Regel einträgt und wie klein der Kreis derer sein mag, die dies alles interessiert. Aber Liebe, sagt Shakespeare im CXVI. Sonett, Liebe ist nicht der Narr der Zeit. Und das heißt doch nur, Liebe, wenn sie ihr Ziel einmal gefunden hat, hält unbeirrt darauf Kurs und läßt sich weder vom Fraß der Zeit entmutigen noch von den Schwankungen der Zeitläufte zum Narren machen. Liebe ist da, oder sie fehlt, doch wenn sie da ist, kann sie nicht nur Berge ver-, sondern auch Verse übersetzen.
Aber sosehr Liebe auch die conditio sine qua non sein mag und man eine Arbeit wie die Übersetzung der Shakespeare-Sonette gar nicht beginnen darf, wenn die Liebe fehlt, so unmöglich scheint es mir, daß man ans Ziel gelangen könnte, ohne Verbündete zu haben, Menschen, die sich von der Narrheit anstecken lassen, der Hybris mit Nachsicht begegnen, die Liebe teilen und Kraft, Zeit und Geld opfern, damit aus dem Plan greifbare Wirklichkeit wird – ein Buch. Es gehört sehr viel Glück dazu, solche Menschen zu finden. Ich hatte dieses Glück.
Den Geburtshelfern meiner Neuübersetzung der Sonette von William Shakespeare möchte ich danken. Zu allererst und ganz besonders herzlich Renate Birkenhauer, ohne deren anhaltende Bestärkung und Begeisterung, aber auch behutsame, obschon stets klare, gestrenge, fast immer berechtigte Kritik und ohne deren verlegerischen Wagemut ich heute nicht hier stünde. Ebenso danke ich Klaus Birkenhauer, der mir keinen verschlafen hinkenden Versfuß durchgehen ließ und mich, wenn’s nötig war, an die Kandare nahm, um gleich darauf wieder listig die Zügel schießen zu lassen. Er hat mir nichts geschenkt – außer seiner Aufmerksamkeit, seiner Erfahrung und seiner Streitlust. Wenn das nichts ist! Renate und Klaus Birkenhauer lieben Shakespeares Sonette, genau wie ich. Daß sie auch meinen Weg der Annäherung an diese Texte lieben konnten, das war, das ist für mich ein unerhörtes Glück und ein großes Geschenk.
Danken will ich aber auch allen anderen, die mich während der Arbeit an dieser Übersetzung und schon in den vielen Jahren des Herantastens an das Projekt ermutigt und gefördert haben und deren Zahl zu groß ist, als daß ich hier jeden einzelnen namentlich nennen könnte. Nur einen Dank, der mir sehr wichtig ist, möchte ich an dieser Stelle noch abstatten: ich danke dem Europäischen Übersetzer-Kollegium in Straelen mit seinem guten Geist und seinen guten Geistern, allen voran der Geschäftsführerin Karin Heinz und der Bibliothekarin Regina Peeters. Denn in Straelen ist die Arbeit entstanden, für die ich heute mit dem Wieland-Preis geehrt worden bin, und nirgendwo anders hätte sie entstehen können als dort, in der idealen Arbeitsatmosphäre jenes Hauses, wo man mir jede nur denkbare Unterstützung gewährt hat.
Wir sind in Biberach, der Heimatstadt Christoph Martin Wielands, des ersten deutschen Shakespeare-Übersetzers. Ich selber komme aus einem Ort, der ebenfalls mit dem Namen dieses Mannes verbunden ist, aus Weimar, wo Wieland vierzig Jahre seines Lebens zugebracht hat. Dorthin berufen als Erzieher des jungen Herzogs Carl August, wirkte er als Dichter und Gelehrter in Nachbarschaft zu Goethe, Schiller und all den anderen, die sich damals in dem an Provinzialität kaum zu überbietenden thüringischen Residenzstädtchen einfanden und es zum Zentrum deutschen Geisteslebens machten. Weimar, wo es ein Wieland- und ein Shakespeare-Denkmal gibt. Weimar, das für uns heute auch Buchenwald einschließt.
Christoph Martin Wieland also, der Bildungsbürger, der Sprachvirtuose, dem das Deutsche unzählige neue Wörter und Wendungen verdankt, übrigens auch die: Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Wieland, der Dichter mit jener wohlabgewogenen Mischung aus Selbstvertrauen und Selbstzweifel – zwei Grundvoraussetzungen für jedes Künstlertum, die wir übrigens auch in Shakespeares Sonetten thematisiert finden. Ich danke der Stadt Biberach, die Wielands Andenken lebendig hält und uns heute ihn ihren Mauern Gastrecht gewährt.
Und William Shakespeare, auch er aus einem ähnlich kleinen, an sich nicht sehr bedeutenden Ort, aus Stratford on Avon. Einer, der alles über das Menschengeschlecht gewußt hat, der uns auf der Bühne mit Schönheit, Weisheit, Güte, aber auch mit den furchtbarsten Perversionen konfrontiert und Verse geschaffen hat, die von Eifersucht, Verrat und vom dies alles verzehrenden Feuer, von der all das überwindenden Kraft der Liebe erzählen. Seinen Sonetten bin ich zum ersten Mal begegnet, als ich sechzehn war, damals in Otto Gildemeisters Übersetzung aus dem Jahre 1871. Vom Ton und von der Botschaft jener Dichtung gleichermaßen gebannt, begann ich die zunächst einzige mir zugängliche Übersetzung, so gut ich es damals vermochte, mit dem Original und schließlich auch mit anderen deutschen Übertragungen zu vergleichen. Und als ich nach vielen Jahren und allerlei Umwegen selber anfing, literarische Texte aus dem Englischen ins Deutsche zu übersetzen, anfing mit Gedichten von John Donne, einem Zeitgenossen Shakespeares, da wuchs in mir erst zaghaft, doch mit der Zeit immer drängender der Wunsch, eines Tages auch die Sonette zu übersetzen.
Abermals vergingen Jahre, bis ich das Selbstvertrauen und den Mut fand, tatsächlich an diese Arbeit zu gehen. Doch nicht in der Absicht, das Ergebnis, falls es je dazu kommen sollte, zu veröffentlichen. Ich wollte sie einfach nur machen, diese Übersetzung, wollte erfahren, wie es mir dabei ergeht, was das Machen mit mir macht. Wenn ich heute daran zurückdenke, scheint mir, die Zeit von August 1990, als ich das erste Sonett übersetzte, bis August 1994, als ich das letzte fertig hatte, war die schönste, intensivste und glücklichste meines Lebens. Und zu meiner Überraschung, zu meiner Freude fanden sich schon sehr bald Menschen, Freunde und Kollegen, die an dem, was ich da machte, Anteil nahmen, und unversehens war sogar ein Verlag da, der meine Übersetzung drucken wollte, der Straelener Manuskripte Verlag.
Wieland, als er 1762 sein erstes Shakespeare-Stück, den Sturm, übersetzt hat, schreibt an seinen Verleger Geßner: Ich habe ... zwar eine ziemliche Vorstellung von den Schwierigkeiten gehabt, aber in der That mir nicht den zehnten Theil der Mühe vorgestellt, die ich nunmehr erfahre. Ich glaube nicht daß irgend eine Art von gelehrter Arbeit der GaleerenSklaven-Arbeit ähnlicher sey als diese.
Wie gut ich ihm das nachfühlen kann. Und doch, für mich war das Arbeiten an den Sonetten reiner Genuß, ja sogar Erholung von der alltäglichen Brotarbeit. Wie viele schwierige Sachbücher und langatmige Unterhaltungsromane mußte ich übersetzen, nachdem ich, aus der ehemaligen DDR kommend, zwar bereits zehn Berufsjahre und eine recht ordentliche Publikationsliste vorzuweisen hatte, als die Mauer fiel, auf dem westlichen Markt aber dennoch ein unbeschriebenes Blatt war. Die Sonette waren das Gegengewicht zu dieser anderen Tätigkeit, bei der ich mir oft genug wie ein GaleerenSklave vorkam, die aber nötig war, nicht nur, um neu Fuß zu fassen, sondern auch, um mir die Zeit für die Sonette finanzieren zu können. Und so waren die zwei-, dreimal jährlich eingestreuten sechs oder acht Straelener Sonettwochen für mich tatsächlich eine Erholung vom Übersetzeralltag.
Als Wieland 1766 mit seinen Shakespeare-Übersetzungen zu Ende ist, schreibt er in einem Brief: Ich schaudere selbst, wenn ich zurücksehe und daran dencke, daß ich den Shakespear zu übersetzen gewagt habe ... Ich sehe die Unvollkommenheit dessen, was ich gethan habe ... Genug, diese Herculische Arbeit ist nun gethan, und, bey allen Göttinnen des Parnasses! ich würde sie gewiß nicht anfangen, wenn sie erst gethan werden sollte ...
Darin stimme ich fast völlig mit dem verehrten Wieland überein, wenngleich ich mir, anders als er, nicht sicher war, daß, um ihn nochmals zu zitieren, Richter von eben soviel Billigkeit als Einsicht mit mir zufrieden sind. Dafür, daß Sie, verehrte Juroren, es waren, danke ich und schließe mit dem CXVI. Sonett.

Nie darf ein Hemmnis reiner Seelen Bund
Im Wege stehn. Die Lieb ist Liebe nicht,
Die schwankend wird, schwankt unter ihr der Grund,
Und schon an einem Treuebruch zerbricht.
Sie ist die Boje, die kein Sturm versenkt,
Die unerschüttert steht im Zeitenstrom,
Ist Leitstern, der verirrte Schiffe lenkt;
Was Liebe kann, ermißt kein Astronom.
Liebe ist nicht der Narr der Zeit, die zwar
Selbst Rosen fällt mit ihrem Sichelschlag;
Im flinken Lauf der Zeit unwandelbar
Besteht die Liebe bis zum Jüngsten Tag.

Wenn, was hier steht, sich je als falsch ergibt,
Dann schrieb ich nie, hat nie ein Mensch geliebt.

 

 

 

 

     
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