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Christa Schuenke
Dankrede
(Gesprochene Fassung)
Verehrter Herr Minister Vesper, sehr geehrte Frau Wirrwoll, liebe Gute
Geister des EÜK, hochmögende Jury, liebe Freunde, meine Damen und Herren!
Ich stehe hier stellvertretend für viele Übersetzer, die ebenfalls einen
Preis verdient hätten, aber bis jetzt noch nie einen erhalten haben.
Manche von ihnen werden auch nie einen erhalten, weil sie nicht mehr
unter uns sind. Darum möchte ich dieses Privileg, hier in meinem geliebten
Straelener Lichthof am Rednerpult stehen zu dürfen, dazu nutzen, an
einen Freund und Kollegen zu erinnern, der vor fünf Jahren starb, ohne
jemals mit einem Preis geehrt worden zu sein: Hartmut Zahn, Übersetzer
aus dem Spanischen, Englischen und Französischen, die deutsche Stimme
von Autoren wie Vasquez Figueroa, Carlos Saura, Joseph Kessel, Elizabeth
Bowen, Kazuo Ishiguro, Jack London, und, im Duett mit Carina von Enzenberg,
auch von Camilo José Cela, Javier Marías, Jean Rouaud, Serge Gainsbourg,
Christopher Hope und Mordechai Richler, um nur einige zu nennen.
Begonnen hat unsere Freundschaft hier, an diesem Ort, hier drohte sie,
beinah noch im Entstehen, an törichten Missverständnissen zu scheitern,
und hier, genau an dieser Stelle, wo ich jetzt stehe, fand sie den Weg,
sich über das Unwichtige zu erheben und im Respekt vor der Arbeit des
anderen, in der geteilten Freude über das Gelungene, zurückzukommen
zu sich selbst und damit zu der Sache, die uns verbunden hat, zum wirklich
Wichtigen: der Leidenschaft fürs Übersetzen.
So sehr ich mich auch freue, dass ich heute die Ehre habe, diesen Übersetzerpreis
entgegenzunehmen, so sehr hätte ich mir gewünscht, dass Hartmut Zahn
in seinem Leben eine ähnliche Ehre zuteil geworden wäre. Darum widme
ich diesen Preis meinem Freund und Kollegen Hartmut Zahn.
Als Herman Melville 1852 Pierre Or The Ambiguities herausbrachte, ein
Jahr nach seinem - wie wir heute wissen – Welterfolg Moby Dick, war
damit sein Schicksal als gescheiterter Autor besiegelt. "Melville
Mad" titelten die Zeitungen nach dem Erscheinen des Buches.
Für den Verfasser selbst war Pierre nur die folgerichtige Verlängerung
des Romans, den er unmittelbar davor fertig gestellt hatte, ja das Parallelwerk
zu Moby Dick. "Leviathan ist nicht der größte Fisch", schrieb
er an seinen Freund Nathaniel Hawthorne über seinen Plan zum Pierre.
Jenen Roman, in dem zu vieles mit zu vielem verknotet wird, dessen Plot,
ich geb es zu, die reine Katastrophe ist, Liebesschnulze, Schauerromanze,
Bildungs-, gar Schelmenroman ja, selbst das an manchen Stellen, dieses
Melodram mit philosophischen Einschlüssen, das harmlos wie eine Pastorale
anfängt, Pasticcio, Patchwork oder, so Kritiker Jens Balzer, der das
Buch als Ferienlektüre für Daheimgebliebene empfiehlt: "... dieses
grandiose, leider aber auch ziemlich konfuse und bei mehr als 15 Grad
Lufttemperatur völlig unverständliche Hauptwerk [sic!] der amerikanischen
Literatur", oder, wie es im Gratulationsbrief von Verlagsleiter
Michael Krüger heißt, "diese intelligenteste aller intelligenten
amerikanischen Schmonzetten", oder kurz und knapp, wie ein Jurymitglied
in seiner Glückwunschmail formulierte: "dieser grässliche Pierre".
Nein, dieser wunderbare Pierre, dieser immer wieder Stein des Anstoßes
in der Auseinandersetzung mit Melvilles Oeuvre, dieser vorletzte Versuch
eines Schriftstellers, sich und die Seinen mit dem Schreiben von Romanen
über Wasser zu halten, diese große Sinfonie, dieses zu Unrecht, jawohl,
sehr zu Unrecht geschmähte und lange in Vergessenheit geratene Hauptwerk
der amerikanischen Literatur - ich habe es bei weit unter und weit über
15 Grad Lufttemperatur übersetzt, einen langen, warmen Herbst, einen
kalten Winter, einen feuchten Frühling und einen sehr, sehr heißen Sommer
lang. Zehn Lenze lag das Manuskript, bis es im Herbst vor einem Jahr
endlich erschienen ist.
Ich war sie alle: die stolze Mrs. Glendinning, der brave Dates, die
blonde, reine, starke Lucy, die dunkle, mysteriöse, starke Isabel, die
gute Tante Dorothea, der Reverend Falsgrave, auch der bigotte Vetter
Glen, war Lucys stolzer Bruder Frederic, der herzensgute Charlie Millthorpe
und Delly, das gefallene Mädchen, die Schwestern Pennies, Plotinus Plinlimmon,
war Droschkenkutscher, Kerkermeister, Polizist, und selbstverständlich
war ich Pierre. Ich ging durch all die Doppeldeutigkeiten, ging die
Wege und streifte in den Berkshires durch die Wälder und schaute von
der Gutshauspiazza rüber zum Mount Greylock - in meiner Phantasie. Und
auch in Wirklichkeit, dies allerdings erst Jahre später, da stand ich
dann wahrhaftig unter Melvilles Memnonstein, im wahren Leben Balance
Rock geheißen. Pierre ist ein harter Brocken, allemal, nicht leicht
zu übersetzen war das Buch, und doch, es war eine der intensivsten,
glücklichsten Erfahrungen, die ich als Übersetzerin hab machen dürfen.
Und das ist auch, und nicht zuletzt, meinen Verbündeten zu danken, denn
bei den irrwitzigsten Abenteuern, auf die man sich als Übersetzer einlässt
(Übersetzen ist natürlich immer Irrwitz, aber es gibt doch Abstufungen),
ist man verloren, hat man nicht Komplizen, die stützen und ermutigen,
die loben oder kritisieren.
Ich möchte danken. Als erstes danke ich Reinhold Batberger und Norbert
Wehr, die Pate standen, als die Idee geboren wurde, dass ich Pierre
übersetze. Reinhold Batberger war auch der erste kritische Leser des
druckfrischen Manuskripts – und damit meine ich: des Manuskripts, so
wie es daheim in meinem Arbeitszimmer aus dem Drucker kam. Als zweites
danke ich Wolfgang Matz, Lektor im Hanser Verlag, der tapfer für den
Pierre gestritten hat, als es nicht weiterging, weil eine Übersetzung
des Moby Dick, die der Verlag nicht akzeptieren mochte, den ganzen Plan
der Edition für lange Zeit komplett blockierte. Vor allem aber danke
ich Daniel Göske, dem wunderbar gründlichen, unbestechlich kritischen,
kompetenten und einsichtigen Herausgeber und Redakteur der Übersetzung.
Es war ein Glück, mit ihm zu arbeiten, ein wahrer Segen und ein Glück,
das mich entschädigt hat für die zehn langen Wartejahre.
Und selbstverständlich danke ich dem Geist des Ortes, an dem wir gerade
sind, und seinen guten Geistern, die hier wirken zum Wohle unseres Standes.
Am Pierre habe ich zwar in Straelen nur wenig gearbeitet, aber so viele
andere meiner Übersetzungen sind ganz oder teilweise in diesem Haus
entstanden. So viele Freundschaften sind hier gewachsen, und immer wieder
bin ich so gern hier.
Danken möchte ich den Juroren und der Kunststiftung NRW und meiner Laudatorin
Maike Albath und allen, die diese Preisverleihung vorbereitet haben
und an ihr mitwirken. Und ganz herzlich bedanke ich mich bei allen Freunden
und Kollegen, die sich die Zeit genommen haben, heute hierher zu kommen
und diesen schönen Anlass mit zu feiern.
Übrigens freue ich mich sehr, dass ich mir diesen Preis gerade mit Bernhard
Robben teilen darf. Unsere Arbeitswege haben sich so oft gekreuzt, dass
mir die weitere Gemeinsamkeit dieser Preisträgerschaft nun fast schon
eine gewisse Folgerichtigkeit zu haben scheint. Wir haben mit John Banville
sogar einen gemeinsamen Autor, und Bernhard Robben hat, last, but not
least, die Melville-Biographie von Elizabeth Hardwick übersetzt.
Einen Preis zu bekommen, ist etwas Besonderes, etwas sehr Schönes. Es
gibt nicht allzu viele Übersetzerpreise, und es gibt viel mehr Übersetzer,
die einen Preis verdient haben, als solche, die auch wirklich einen
kriegen.
Da Preise rar sind, sind sie eine Chance, durch das öffentliche Interesse,
das Preisträgern entgegengebracht wird, zugleich einen Spot auf die
ganze Zunft zu richten, auf unseren nach wie vor skandalös unterbezahlten,
in der Öffentlichkeit zu wenig wahrgenommenen Berufsstand.
Da hilft es, wenn ein Übersetzerpreis auch einen Namen hat, den sich
z. B. Journalisten merken können. Mir ist bekannt, dass die Kunststiftung
NRW und die Verantwortlichen im EÜK ausgiebig über diese Frage diskutiert
haben und eine wohl endgültige Entscheidung längst gefallen ist. Ich
finde, es wäre doch schön gewesen, hätte sich eine Möglichkeit gefunden,
diesen großen, wichtigen Preis mit dem Namen eines verdienstvollen Menschen
zu verbinden, mit einem Namen, der ihm, davon bin ich überzeugt, noch
weit mehr öffentliche Beachtung einbringen würde, als er ohnedies hat.
Mir wurde offiziell zu ganz verschiedenen Preisen gratuliert, etwa vom
Berliner Kultursenator zum "Europäischen Übersetzerpreis".
In Pressemeldungen war häufig vom "Preis des Europäischen Übersetzer-Kollegiums"
die Rede. Ich finde, es wäre schön gewesen, hätte man den Großen Übersetzerpreis
der Kunststiftung NRW zum Beispiel nach Klaus Birkenhauer benennen können,
dem Mitbegründer und langjährigen Projektleiter des EÜK, dem so viele
von uns wichtige Impulse verdanken und der auch einer der Initiatoren
dieses Preises war. Und hätte dieser Name nicht auch dem Europäischen
Übersetzer-Kollegium einen weiteren Glanzpunkt aufsetzen können, diesem
phantastischen Arbeitszentrum für literarische Übersetzer nicht allein
aus Europa, sondern aus der ganzen Welt?
Seit längerem schon und immer noch träume ich davon, dass dieses Haus
hier eines Tages auch eine "Straelener Akademie für Übersetzungskunst"
beherbergen könnte, eine Akademie, an der hervorragende deutsche Übersetzer
aller Genres in Meisterklassen ihre Erfahrungen an besonders talentierte
junge Kollegen weitergeben, wo Arbeitsgruppen sich mit Fragen rund um
die Kunst des Literaturübersetzens befassen und wo vielleicht irgendwann
- warum nicht weiterträumen, wenn man einmal damit angefangen hat? -
ein alljährlich zu vergebender deutscher Staatspreis für Literaturübersetzer
sowohl ins Deutsche als auch aus dem Deutschen ausgelobt wird, ein Übersetzer-Oscar
sozusagen, der Academy Award für unsere Zunft. Ein Traum, gewiss, bis
jetzt nichts weiter als ein Traum.
Ich danke Ihnen.
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